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198 archäologische Kuriosität, sondern als eine Wartburg öster
reichischer Geschichte […]. Es kommt an ihr kaum mehr zu
Bewußtsein, daß hier die durch Leopold den Heiligen
gegründete Prachtburg, der berühmte Herrschersitz zweier
österreichischer Dynastien stand […]. Die eigentliche Akro
polis von Wien, die Stätte, von der die Befreiung Wiens aus
der Türkennot des Jahres 1683 wirklich ausging.“726
Nach Lechner ist die angebliche Markgrafenburg auf dem
Kahlen Berge (dem heutigen Leopoldsberg) ins Reich der
Fabel zu verweisen. Eine Burg auf dem Leopoldsberg ist
nach heutigem Erkenntnisstand erst gegen Ende des
13. Jahrhunderts gesichert.727 Nicht überraschend findet
man den Kahlenberg mit der Burg an der Spitze und der
Donau im Hintergrund des Bildes Die Gründer des St.
Stephanskirche, ebenso wie, zusammen mit der Silhouette
des Stephansdoms, in der Darstellung Franz I. mit dem
bürgerlichen
Gesetzbuch.728Die
zentrale Figur in den beiden Gemälden Die drei
Erbauer der St. Stephanskirche und Die Gründung der Uni
versität Wien ist Rudolf IV. der Stifter, der als erster
Habs-burger
die Geschichte seines Hauses betonte und durch
die gefälschten Freiheitsbriefe ihre Bedeutung noch
zusätzlich erweiterte. Obwohl um 1847 die Echtheit des
Privilegium Maius in Fachkreisen bereits angezweifelt
wurde729, lässt Kupelwieser in der Augsburger
Beleh-nungsszene
Albrecht I. das Lehen zu Pferd
entgegenneh-men.
Dieses Vorrecht der österreichischen Herzöge
beruht auf einem Passus des Privilegium Maius, wonach
der Herzog von Österreich in fürstlichem Gewande zu
Pferd seine Lehen empfängt.
Noch bewusster aber erfuhr die Bedeutung des
Geschehens und der dadurch transportierte
Geschichts-Sinn
eine Akzentverschiebung durch eine Weglassung,
wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde:
Darge-stellt
wird nur Albrecht I., der das Lehen empfängt, nicht
aber sein jüngerer Bruder Rudolf, der ebenfalls belehnt
wurde. Die im folgenden Jahr durch Rudolf I. ergangene
Bestimmung, Albrecht solle die Länder allein regieren,
und die nie erstattete Entschädigung führten in der Folge
zur Ermordung Albrechts durch seinen Neffen, Rudolfs
Sohn Johann Parricida. Kupelwieser erstickte sozusagen
jedes Konfliktpotential schon im Keim durch eine
Verein-fachung,
d.h. das Unterlassen einer Erwähnung – eine
sehr subtile Modulation, die den Hauptgedanken des
Eine genaue Beschreibung der Burg findet sich in Ziskas
Geschichte der Stadt Wien:
„1101 entsteht auf der überragensten Spitze desselben [Leo
poldsberg, Anm.] […] ein Schloß, dessen Festigkeit und
Pracht (nach Haselbach) so groß gewesen sein soll, dass es
einen Herrn von königlichen Schätzen verkündigte. Es war
in die Runde gebaut mit vielen starken Thürmen und von
Innen mit marmornen Statuen versehen.“724
Der Text wird mit einer Darstellung von Julius Schnorr
von Carolsfeld bebildert, die Leopold III. zeigt, der seine
neu angetraute Gemahlin Agnes zur Burg am Kahlenberg
führt. Interessant ist in dieser Illustration der Versuch
einer genauen Rekonstruktion der Burganlage. (Abb. 276)
Die Aufladung mit Bedeutung, welche die Burg im Laufe
des 19. Jahrhunderts erfuhr, erschließt sich in einem Text
von Richard Kralik aus dem Jahr 1903. Das Bauwerk wird
symbolisch zum Wahrzeichen zweier Herrscherdynastien
überhöht und, wie auch der Stephansdom, mit der
Bedro-hung
durch die Türken in Zusammenhang gebracht,
wobei es in diesem Fall nur örtliche und keinerlei
inhalt-liche
historische Bezüge gibt. So wie an anderer Stelle die
Pläne zur Vollendung des Stephansdoms diskutiert
wur-den725,
wird hier ein Wiederaufbau bzw. eine
Rekonstruk-tion
der Babenberger Burg argumentiert:
„Als ich mich vor dem Jahre 1883 […] mit dem Leopolds
berge beschäftigte, habe ich […] den Vorschlag gemacht, als
großartiges Denkmal jener weltgeschichtlichen und vaterlän
dischen Tat die alte Burg der Babenberger und Habsburger
auf diesem Berg wieder aufzubauen, aber nicht als eine
Abb. 276: „Leopold der Fromme bezieht mit seiner Gattin Agnes das Schloß
am Kahlenberge, comp. v. L. Schnorr“; Bildquelle: Ziska (1847).
724 Ziska (1847) p.
57.725
Siehe Kapitel „Die drei Erbauer der St.
Stephanskirche“.726
Kralik (1903) p. 3. Vgl.: Kralik, in: Deutsche Zeitung, 7. Juli
1882.727
Lechner (1976) p. 124.
728 Aquarell, Niederösterreichisches Landesmuseum, Inv. Nr.
7000/351, nicht als Fresko
ausgeführt.729
Den endgültigen Beweis für die Fälschung unter Rudolf IV.
erbrachte Wilhelm Wattenbach im Jahre 1852. Vgl.: Lhotsky
(1957) Nr. 22, p. 68 und 85.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306