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202 bereits vielfach hingewiesen. Die Kartons wurden nun
zunächst als Stellvertreter der Wandgemälde nach
Deutsch-land
geschickt und dort auf Ausstellungen gezeigt bzw. von
staatlichen und privaten Sammlungen angekauft. Diese
Praxis setzte sich fort, als die meisten Nazarener der ersten
Generation wieder aus Rom in ihre Heimat zurückgekehrt
waren und ihre Wandmalereien auch dort ausführten.
Im Folgenden seien einige exemplarische Beispiele für
diese Vorgangsweise angeführt749: Schon 1823 begann
Julius Schnorr von Carolsfeld, seine Kartons zum Casino
Massimo an seinen Vater in Leipzig zu schicken, wo sie
1825 auf der Jubilatenmesse ausgestellt wurden.750 1827
vereinigte Schnorr die Leipziger Kartons mit jenen, die
er aus Rom mitgebracht hatte, und stellte sie in seinem
Atelier aus. Einen Teil dieser Kartons kaufte 1830 das
Frankfurter Städel, das in der Folge auch Kartons von
Philipp Veit (Die sieben fetten Jahre) und Friedrich
Over-beck
(Verkauf des Joseph) erwarb. Overbecks Karton Olind
und Sophonie für den Marchese Massimo wurde bereits
1821 in Dresden gezeigt. Zwölf der Ariost-Kartons für das
Casino Massimo und zwei Kartons für den Münchner
Nibelungen-Zyklus von Julius Schnorr von Carolsfeld
kamen 1838 an die Karlsruher Kunsthalle, wo 1848 auch
Overbecks Karton zum Gemälde Beweinung Christi
ange-kauft
wurde. Die bedeutendste deutsche
Kartonsamm-lung
entstand an der Berliner Nationalgalerie, für die
Barthold Georg Niebuhr, der preußische Gesandte im
Vatikan, 1817 erstmals ein Werk von Peter Cornelius, den
Karton Wiedererkennung Josephs, erwarb. 1818 wurde
Cor-nelius’
Karton Joseph umarmt Benjamin, der für die Casa
Bartholdy entstanden war, in Berlin gezeigt. Das
Herz-stück
der Sammlung aber bestand aus Cornelius’ Kartons
für die Münchner Glyptothek und zum Camposanto, die
1857 auf große Ausstellungen in München, Dresden,
Paris, Wien, Brüssel und Antwerpen geschickt wurden.751
„Unterdeß haben durch eine wunderbare Fügung Gottes, diese
Cartons einen wahren Triumph und Siegeszug durch die Welt
gemacht, ohne daß ich das geringste dazu beigetragen“752,
schreibt Cornelius begeistert an seinen Schwager
Theo-dor
Brüggemann.Auf
der Wiener Akademie-Ausstellung zu St. Anna gab
es 1841 erstmals eine eigene Abteilung für „Carton Zeich
nungen“. Im selben Jahr wurden hier fünf Kartons von
Julius Schnorr von Carolsfeld gezeigt, die für die
Ausstat-tung
des Rudolf-Saals in der Münchner Residenz mit
Wandgemälden entstanden waren:
die Zeichnung konsequenter als das ausgeführte Bild.
Der Willkürlichkeit einer Skizze oder Studie entwachsen,
vermittelt der Karton durch seine sorgfältige
Ausfüh-rung,
seine Schönlinigkeit und detailreiche
Durchfor-mulierung
die Gültigkeit eines vollendeten Werkes, ohne
die Spontaneität des künstlerischen Schaffensprozesses
zu verlieren. Weit über den Anspruch einer Skizze,
Stu-die
oder Vorzeichnung hinausgehend, fordert er dabei
in seiner Monumentalität seine Rolle als öffentliches
Kunstwerk ein.
Kupelwieser muss die Kartonkunst seiner
Künstlerkolle-gen
aus dem Nazarener-Umkreis wohl bekannt gewesen
sein. Auf seiner Italienreise schloss er mit den
Mitglie-dern
der Bruderschaft erste Kontakte und hatte wohl
auch die Gelegenheit, ihre gerade im Entstehen
begrif-fenen
Arbeiten in der Villa Massimo zu besichtigen.
Kar-tons
von Julius Schnorr von Carolsfeld wurden zweimal
in kurzer Abfolge auf der St. Anna Kunstausstellung
gezeigt, und während späterer Aufenthalte Kupelwiesers
in Deutschland, etwa 1847 in München, kam es zu regem
Austausch mit den dort ansässigen Künstlern.
Kupelwie-sers
Statthalterei-Kartons für die Hauptgemälde sind in
der Sorgfalt der Konstruktion und Ausführung, ihren
prä-zise
durchmodellierten Formen und ihrem
Detailreich-tum
durchaus in Beziehung zur nazarenischen
Karton-kunst
zu sehen. Dennoch entstanden sie unmittelbar
während der Vorbereitungsarbeiten zu den Fresken und
sind nur so weit ausgeführt, als sie auch im Fresko gemalt
werden sollten, wodurch – formatbedingt – in manchen
Fällen die Zeichnung in größeren Bereichen nur
ange-deutet
ist. Die Kartons zu den Allegorien entstanden aus
arbeitstechnischer Notwendigkeit, sie wirken in ihrer
Spontaneität teilweise sehr skizzenhaft, Schatten sind mit
großzügig gesetzten Schraffuren wiedergegeben.
Zahlrei-che
Reuestriche zeugen vom Prozess der Formfindung,
der direkt auf dem Karton stattfand: Arm- und
Bein-stellung,
Faltenwurf und viele andere Details wurden oft
abgeändert und korrigiert, während für die
großformati-gen
Kartons Komposition und einzelne Figuren zuvor in
zahlreichen Vorstudien geklärt wurden, so dass sich auf
diesen Kartons keine Unsicherheiten oder ungeplante
Variationen finden. Die Kartonzeichnung ist bei
Kupel-wieser
demgemäß nicht zum Selbstzweck geworden und
behielt ihre Funktion innerhalb der Werkgenese.
AusstellungenWas
die Einbindung der Werke in architektonische
Zusam-menhänge
betrifft, erwies sich die örtliche
Ungebunden-heit
der Kartons bald als Vorteil. Auf die Diskrepanz, dass
die ersten nazarenischen Freskenprojekte an „das deutsche
Volk“ adressiert waren, aber in Italien entstanden, wurde 749 Zu den Beispielen vgl. Kuhlmann-Hodick (1999) p.
40ff.750
Gerstenberg; Rave (1934) p.
166.751
Foerster (1874) 2. Bd., p.
420.752
Brief von Cornelius an Brüggemann, Rom, 17. September 1859,
zit. nach: Foerster (1874) 2. Bd., p. 419.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306