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lautet: „Rechts von der ,Austria‘ ist ein kindlicher Engel, wel
cher die ,Liebe‘ darstellend, ihr einen Lorbeerkranz reicht.“
Dieser Text, der 1851 zusammen mit der Stichfolge
publi-ziert
wurde, ist zwar im Allgemeinen deutlich an
Kupelwie-sers
Programmentwürfen orientiert, weicht aber in diesem
Punkt von dessen Auffassung ab. In Kenntnis der beiden
von Kupelwieser verfassten Texte170 wird man die kleine
geflügelte Figur im Sinne Vancsas unmittelbar der Austria
zuordnen und nicht als Personifikation der Liebe lesen.
Im Erläuterungstext zu der Stichfolge findet sich über
den Bezug der Austria-Allegorie zu den um sie
angeord-neten
historischen Darstellungen folgende Anmerkung:
„Die Umgebungen dieses Mittelbildes enthalten Darstellun
gen aus der Geschichte Österreichs, welche als Tatsachen
jene allegorischen Gestalten des Mittelbildes geschichtlich
belegen.“ 171
Die Programmentwürfe geben keine genaue Auskunft,
wie die einzelnen Szenen auf die allegorischen Figuren
zu beziehen sind. Lediglich der Erläuterungstext von 1851
erklärt die Zusammenhänge im Einzelnen genauer:
„St. Severin, als Apostel Österreichs, bezeichnet den Glau
ben, Leopold die Gerechtigkeit. Rudolph als Stifter der Uni
versität, die Weisheit, und die Gründer der Stephanskirche
Belebung der Künste und Wissenschaften.“172
Schon Eckart Vancsa bezweifelte die Richtigkeit
die-ser
Ausdeutung. Die Bezeichnung des kleinen Engels als
Personifikation der Liebe erscheint fragwürdig, da sie
inhaltlich nicht schlüssig ist und in der Form auch in
keinem der Programmentwürfe aufscheint. Weiters ist die
Bezeichnung der Komposition Die Gründer der St. Ste
phanskirche als Darstellung der „Belebung der Künste und
Wissenschaften“ nicht verständlich, zumal eine
entspre-chende
Personifikation im Mittelbild nicht aufscheint,
außerdem kann in diesem Erklärungsschema keine
his-torische
Szene der Personifikation der Kraft zugeteilt
werden.
Vancsa schlägt folgenden Interpretationsschlüssel
vor: Glaube und Ruhm (der kleine Engel mit
Lorbeer-kranz)
gehören unmittelbar zur Austria und beziehen sich
auf alle Darstellungen, während der Gerechtigkeit die
Szene Odoaker vor Severin, der Weisheit die Gründung der
Universität, der Kraft die Eroberung von Melk und der
Geschichte die Gründung der Stephanskirche zugeordnet
werden kann.
In jedem Fall muss in Kenntnis der Entwicklung des
Programms festgestellt werden, dass die Beziehungen
der einzelnen geschichtlichen Szenen zu den Allegorien
des Mittelbildes inhaltlich nur in sehr allgemeiner
Weise hergestellt werden können. Mehrere Tatsachen sprechen dagegen, dass der Konnex zwischen Allegorien
und Geschichtsszenen von Anfang an in dieser Form
konzipiert war: Schon im ersten Programmentwurf
formulierte Kupelwieser: „So wie im oberen Raume
die Allegorie in der Mitte durch die historischen Darstellun
gen erklärt wird […].“ Die Austria-Allegorie ist in dem,
mit dem ersten schriftlichen Programmentwurf
unmit-telbar
in Zusammenhang stehenden ersten
Gesamtent-wurf
für die Deckengemälde173 nicht von
Personifika-tionen
umgeben und der inhaltliche Bezug der sechs
umgebenden Gemälde kann sich nur auf die Figur der
Austria selbst bzw. ihre nach oben gerichtete
Verweis-geste
als Zeichen des höheren Segens, der ihr stets
zuteil wurde, auf die stürmische Woge, die sich zu ihren
Füßen bricht, und auf die Insignien der Würde und
Macht
richten.In
der darauf folgenden Fassung des Bildprogramms,
die im Gesamtentwurf für Decke und Wände des
Marmor-saals
formuliert wird, sind für das zentrale
Deckenge-mälde
drei Personifikationen und mehrere Genien, aber
bereits vier dieses Mittelbild umgebende geschichtliche
Darstellungen vorgesehen. Eine eindeutige Zuordnung
nach dem Schema eine Personifikation – eine geschichtliche
Szene wäre in diesem Fall gar nicht möglich gewesen.
Weiters war anstatt der Szene der Gründung der Universi
tät in dem oben genannten Entwurfsblatt ursprünglich
eine Darstellung der Gründung Klosterneuburgs
vorge-sehen,
die mit der Allegorie der Weisheit inhaltlich nicht
überzeugend übereinstimmt.
Nachdem die Aufteilung der Decke in die zentrale
Austria-Allegorie und umgebende geschichtliche Szenen
schon zu einem frühen Zeitpunkt stattfand, eine
Zuord-nung
im Detail aber erst nach inhaltlichen Änderungen
sowohl der Austria-Allegorie als auch der historischen
Darstellungen erfolgte, erscheint die Interpretation des
Erläuterungstextes zu schematisierend und konstruiert.
Kupelwieser selbst traf nie eine derartige
Zuordnung.Feuchtmüllers174
Deutung, die Religion beziehe sich
auf die Severin-Szene, die Liebe auf Bischof Kollonitsch,
die Weisheit auf die Gründung der Universität, die
Gerechtigkeit auf die Gerichtsszene mit Leopold dem
Glorreichen, die Kraft auf den Sturm auf Melk und die
Geschichte auf alle übrigen Szenen, erscheint inhaltlich
schlüssig. Dennoch ist auch schon im zweiten Programm-
170 Die erst 1993 vom Niederösterreichischen Landesmuseum
erwor-benen
Schriftstücke waren weder Rupert Feuchtmüller noch
Eckart Vancsa
zugänglich.171
Ohne Autor (ca. 1851) o.S., Text zu Bildfeld
I.172
Ebd. Text zu Bildfeld
I.173
Erster Gesamtentwurf für die Deckengemälde, Universität Graz,
Institut für
Kunstgeschichte.174
Feuchtmüller (1970) p. 131.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306