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74 schule Severins und die Erhebung zum Bistum stellt jene
ideal in die Vergangenheit projizierten Bedingungen
wie-der
her. Die Deutung der Ereignisse als Bewegung
inner-halb
eines großen Kontinuums ist immer wieder auch
Verweis auf Kontinuitäten zwischen den Zeitaltern und
ihren Herrscherdynastien und auf die
Allgemeingültig-keit
der christlichen Tradition, durch deren materielle
und ideelle kulturelle Prägekraft Vergangenheit und
Gegenwart verbunden werden.
In diesem Sinne kann auch die Debatte über die
„Rückführung in einen ,ursprünglichen‘ Zustand“ und eine
mögliche Vollendung des Domes verstanden werden. Sein
heterogener Zustand wurde vielfach bemängelt, die
Architektur des Hochaltares als dem Stil des Doms
wider-sprüchlich
beurteilt, das Verschwinden von Standbildern
und Verzierungen beklagt und willkürliche Ergänzungen
kritisiert. Ein Gemälde von Leopold Ernst253 zeigt eine
Innenansicht der St. Stephanskirche „in ihrem Bestande
in der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts“. Es zeugt
einer-seits
von einer intensivierten Auseinandersetzung mit der
Baugeschichte, andererseits vom aktuellen
Zeitge-schmack,
der barocke Ergänzungen und Umbauten
allge-mein
als nicht authentisch empfand. Interessanterweise
werden auch sehr frühe architektonische Arbeiten
offen-bar
als zu uneinheitlich („das Gebäude der Kirche, […]
das dadurch in seinen Formen aller Uebereinstimmungen
entbehrte“254) und der von Rudolf wesentlich veränderte
und ergänzte Bau als die eigentliche und letztgültige Form
wahrgenommen. Die Überzeugung, der gotische Stil sei
in Deutschland entstanden, hielt sich bis weit ins 19.
Jahrhundert und bestimmte damit dessen Lesart als
genuin „deutschen Stil“, wodurch er zum Kennzeichen
„vaterländischer“ Gesinnung wurde.255 Schon das erste
„moderne“ Restaurierungsprojekt Ende des 18.
Jahrhun-derts
sah eine stilistische Vereinheitlichung vor, bei der
die schlichten romanischen Bauteile der Westfassade
durch gotische Schmuckformen ergänzt werden
sollten.1842,
im selben Jahr, in dem der Grundstein zur
Vollendung des Kölner Domes gelegt wurde, machten
„Rudolf verwandelte das Zimmer, in dem er geboren war, in
der Burg in eine Kapelle, […]. Der neuen Burgkapelle enger
Raum paßte weder zu der prächtigen Stiftung noch für den
glänzenden Hof. Darum übersetzte Rudolph diese seine Lieb
lingsstiftung auf die alte Pfarrkirche zu St. Stephan.“248
So wird der Stephansdom im übertragenen Sinn zur
Geburtsstätte Rudolfs und zur Wiege eines unabhängigen
Landesbistums.
Durch den 1359 begonnenen Ausbau der
Stephans-kirche
setzte Rudolf zugleich aber auch das Werk
Hein-rich
Jasomirgotts fort.
„Rudolph faßte daher den großartigen Plan […] das
Gebäude der Kirche, an welchem seit Herzog Heinrich Jaso
mirgott in vielfachen Unterbrechungen mehrere Zeitalter
gebaut hatten, und das dadurch in seinen Formen aller
Uebereinstimmungen entbehrte, zu erweitern, und in herrli
cher Einheit zu einem großen, staunenswerten feierlichen
Tempel der Gläubigen auszuführen.“249
Rudolf wird hier zum Vollender dessen, was sein
Vorgän-ger
Jasomirgott begonnen hatte, was durchaus auch im
übertragenen Sinne als Fortführung der
babenbergi-schen
Herrschaft durch die Habsburger und dadurch
auch als deren Legitimation verstanden wurde.
Ziegler verbindet zuletzt das Gebäude auch auf
per-sönliche
und besonders innige Weise mit der Figur des
Herrschers, wenn er schreibt:
„Hier in diesem ehrwürdigen und schauerlichen Gotteshause
brachte Rudolph als ein Freund der Einsamkeit und des ern
sten Nachdenkens, viele Nächte zu, um über das, was ihm
das größte und wichtigste schien, zu
entscheiden.“250Unter
Friedrich III. wurde schließlich das Hauptgewölbe
geschlossen und der Turm fertiggestellt.
„Dem Kaiser Friedrich III. war es aufbehalten, das von meh
reren Vorfahren bearbeitete Werk, so weit wir es jetzt sehen,
zu
vollenden.“251In
seine Regierungszeit fällt auch die Erhebung Wiens
zum Bistum:
„Papst Paul II. zählt Wien und sein Gebieth […] vom Pas
sauer Sprengel gänzlich los, erhob es zur Stadt ersten Ranges
und seine Probstey bei St. Stephan […] zum Bischofssitz.
[…] So war Fabianas alter Sprengel wieder hergestellt […].
Es war in anderer Weise vollführt, was Rudolph, dieses
Domes und der Hochschule Stifter vollwichtig gewollt, die
Übertragung des alten Sitzes von Lorch nach Wien.“252
Bauliche oder kirchenpolitische Maßnahmen einzelner
Herrscher werden in der Literatur stets betont als Fort
setzung oder auch Vollendung dessen, was ihre Vorgänger
begonnen haben, dargestellt. Die Gründung von St.
Ste-phan
wird so zur Weiterführung der christlichen Pflanz 248 Hormayr (1823 – 1825) 3. Bd., Heft 1 und 2, p.
197.249
Ziegler (1843 – 1849) 1. Bd., p.
175.250
Ziegler (1837) Text zu Bild Nr.
22.251
Lichnowsky (1817) p.
35.252
Hormayr (1823 – 1825) 4. Bd., Heft 1, p.
23.253
Das Gemälde wurde auf der Akademie-Ausstellung im Jahr 1844
gezeigt (Katalog Kunstwerke, öffentlich ausgestellt im Gebäude der
oesterreichisch kaiserlichen Akademie der vereinigten bildenden Künste
St. Anna. Im Jahr 1844, Wien 1844). Leopold Ernst (1808 – 1862)
studierte bei Peter Nobile Architektur und war ab 1853
Dombau-meister
von St.
Stephan.254
Österreichische Blätter für Literatur und Kunst, Nr. 1, Wien 31. Jänner
1844, p.
7.255
Zur Restauriergeschichte des Stephansdomes siehe auch:
Nier-haus
(2011) p. 100ff.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306