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Interpretationen, und abhängig von der Position des
jeweiligen Autors kam es zu einer Vielzahl
unterschiedli-cher
Urteile. Karl der Große wurde zum Kämpfer für das
Christentum, Gründer des Heiligen Römischen Reiches
sowie des französischen Königreichs, Gesetzgeber und
Gründer von Institutionen sowie kirchlichen und
städti-schen
Einrichtungen. Die Komplexität der Projektionen
machte es schwierig, ihn als eindimensionale nationale
Symbolfigur festzulegen; darüber hinaus wurde er vom
Erzfeind Napoleon in einem wahren Karlskult als
Vor-fahre
und Begründer der französischen Nation
verein-nahmt.
Trotzdem spielte Karl der Große besonders in der
bildenden Kunst Deutschlands im 19. Jahrhundert eine
wesentliche Rolle.
Julius Schnorr von Carolsfeld machte den Kaiser
bereits in den 1820er Jahren zur zentralen Gestalt von
drei seiner Gemälde im Ariost-Saal des Casino Massimo.
Zehn Jahre später beschäftigte er sich erneut mit dem
Stoff, als er einen der drei Kaisersäle der Münchner
Resi-denz
mit sechs monumentalen Wandgemälden zu Karls
Leben ausstattete, wobei hier eine ausgeprägt christliche
Lesart seiner Taten dominiert. Alfred Rethel gestaltete ab
1840 im Aachener Rathaussaal einen monumentalen
Karl-Zyklus mit neun Bildfeldern, in dem Karl der Große
als christlicher Held aufgefasst wird, der durch seine
Siege über Heiden und Türken das christliche Abendland
begründet. Beiden Werken ging eine intensive
Beschäf-tigung
mit dem historischen Stoff voran.
Im Vielvölkerstaat der österreichischen Monarchie
hingegen konnte allgemeine Begeisterung für eine so
deutsch- bzw. französisch-national besetzte Leitfigur wie
die Karls des Großen politisch nicht geduldet werden.
Bezeichnenderweise betonte Friedrich Schlegel in seinen
Wiener Vorlesungen 1810 dann auch den von Karl
gepräg-ten
Begriff eines christlichen Vereins aller
abendländi-schen
Nationen309, der vorbildhaft die eigentümliche
Entwicklung jeder einzelnen Nation ermöglichte – eine
Idee, die im multinationalen habsburgischen Reich große
politische Aktualität besaß.
Die fliehenden Awaren werden im Fries ohne
beson-ders
charakteristische Haartracht303 oder Gewand
dar-gestellt,
man erkennt kurze Tuniken und einfache
Kopfbedeckungen. Die Bewaffnung der berittenen
Awaren-Krieger mit Lanzen und skythischen Reflexbögen,
die von den Hunnen als „Wunderwaffe“ in Osteuropa
wieder durchgesetzt worden waren, wurde bereits im
Strategikon, einer frühen schriftlichen Quelle über die
Awaren, beschrieben.304 Eine der wichtigsten
Neueinfüh-rungen
in der Kampfausrüstung allerdings, der
Steig-bügel,
der auf die Awaren zurückgeht305, scheint in der
Geschichtsforschung des frühen 19. Jahrhunderts in
die-sem
Zusammenhang noch nicht erkannt worden zu sein
und ist im Karl-Fries wie erwähnt nicht dargestellt. Eine
Keule als Teil der awarischen Kriegerausrüstung, wie sie
am äußersten rechten Bildrand zu erkennen ist, geht
nicht auf historische Quellen zurück306 und hat im Bild
wahrscheinlich die Funktion, die Awaren als kulturell
rückständige Barbaren zu
markieren.Bei
dem Kruzifix tragenden Mönch307 an Karls Seite
handelt es sich um den angelsächsischen Mönch Alkuin,
einen engen Vertrauten Karls, der in der
Christianisie-rung
der heidnischen germanischen, vor allem
sächsi-schen,
und awarischen Stämme Europas eine wichtige
Rolle spielte.
Karl der Große und die Awaren in der Geschichts
schreibung und der darstellenden Kunst der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts
Die Auffassung der Figur Karls des Großen und seiner
Taten spiegelt die politischen Umstände in den
deut-schen
Staaten und dem neu gegründeten
österreichi-schen
Kaiserstaat wider bzw. markiert deutlich
Differen-zen
zwischen den beiden.
Sabine Fastert diskutiert in ihrer Arbeit eingehend die
Bedeutung Karls des Großen in der deutschen
Geschichtsschreibung und Kunst der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts.308 Das von Voltaire begründete Vorurteil
der Aufklärung von dem Barbaren Karl war Anfang des
19. Jahrhunderts endgültig verschwunden und machte
dem Bild eines frommen, gerechten und gebildeten
Herr-schers
Platz. Eine Reihe von Historikern beschäftigte sich
– allerdings nach dem Ende der Freiheitskriege
zuneh-mend
kritisch – mit seinem Leben und Werk. 1810 schrieb
Hans Karl Dippold eine sehr populäre, mit zahlreichen
Sagen bereicherte Biographie, der liberale Historiker
Luden veröffentlichte 1828 sein umfangreiches Werk zu
Karl dem Großen, weitere Autoren wie Leo, Ellendorfer
und Lorentz folgten. Mehr als andere historische
Gestal-ten
provozierte die Person Karls dabei widersprüchliche 303 Das Erste, das den Griechen an den Awaren auffiel, waren ihre
langen schmutzigen Zöpfe, die sie geflochten trugen. Ihre
Haar-tracht
ist das Einzige, das der Zeitgenosse Agathias in seinem
552 – 559 verfassten Geschichtswerk über sie berichtet: „Sie sind
[…] ungekämmt, borstig und schmutzig und geschmacklos in Knoten
geflochten.“ Zit. nach: Pohl (2002) p. 18.
304 Pohl (2002) p.
170.305
Ebd. p.
171.306
Zur Ausrüstung awarischer Krieger vgl.: Pohl (2002) p.
170f.307
Auch in Schnorr von Carolsfelds Gemälde Bekehrung und Taufe der
Sachsen in den Kaisersälen der Münchner Residenz wird Karl der
Große in Begleitung des Kreuz tragenden Mönches Alkuin
dar-gestellt.308
Fastert (2000) p. 185 –
230.309
Zit. nach: Fastert (2000) p. 226.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306