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Kunst und Kultur
Das zusammengedrängte Gedenken
Seite - 87 -
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87 Interpretationen, und abhängig von der Position des jeweiligen Autors kam es zu einer Vielzahl unterschiedli-cher Urteile. Karl der Große wurde zum Kämpfer für das Christentum, Gründer des Heiligen Römischen Reiches sowie des französischen Königreichs, Gesetzgeber und Gründer von Institutionen sowie kirchlichen und städti-schen Einrichtungen. Die Komplexität der Projektionen machte es schwierig, ihn als eindimensionale nationale Symbolfigur festzulegen; darüber hinaus wurde er vom Erzfeind Napoleon in einem wahren Karlskult als Vor-fahre und Begründer der französischen Nation verein-nahmt. Trotzdem spielte Karl der Große besonders in der bildenden Kunst Deutschlands im 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle. Julius Schnorr von Carolsfeld machte den Kaiser bereits in den 1820er Jahren zur zentralen Gestalt von drei seiner Gemälde im Ariost-Saal des Casino Massimo. Zehn Jahre später beschäftigte er sich erneut mit dem Stoff, als er einen der drei Kaisersäle der Münchner Resi-denz mit sechs monumentalen Wandgemälden zu Karls Leben ausstattete, wobei hier eine ausgeprägt christliche Lesart seiner Taten dominiert. Alfred Rethel gestaltete ab 1840 im Aachener Rathaussaal einen monumentalen Karl-Zyklus mit neun Bildfeldern, in dem Karl der Große als christlicher Held aufgefasst wird, der durch seine Siege über Heiden und Türken das christliche Abendland begründet. Beiden Werken ging eine intensive Beschäf-tigung mit dem historischen Stoff voran. Im Vielvölkerstaat der österreichischen Monarchie hingegen konnte allgemeine Begeisterung für eine so deutsch- bzw. französisch-national besetzte Leitfigur wie die Karls des Großen politisch nicht geduldet werden. Bezeichnenderweise betonte Friedrich Schlegel in seinen Wiener Vorlesungen 1810 dann auch den von Karl gepräg-ten Begriff eines christlichen Vereins aller abendländi-schen Nationen309, der vorbildhaft die eigentümliche Entwicklung jeder einzelnen Nation ermöglichte – eine Idee, die im multinationalen habsburgischen Reich große politische Aktualität besaß. Die fliehenden Awaren werden im Fries ohne beson-ders charakteristische Haartracht303 oder Gewand dar-gestellt, man erkennt kurze Tuniken und einfache Kopfbedeckungen. Die Bewaffnung der berittenen Awaren-Krieger mit Lanzen und skythischen Reflexbögen, die von den Hunnen als „Wunderwaffe“ in Osteuropa wieder durchgesetzt worden waren, wurde bereits im Strategikon, einer frühen schriftlichen Quelle über die Awaren, beschrieben.304 Eine der wichtigsten Neueinfüh-rungen in der Kampfausrüstung allerdings, der Steig-bügel, der auf die Awaren zurückgeht305, scheint in der Geschichtsforschung des frühen 19. Jahrhunderts in die-sem Zusammenhang noch nicht erkannt worden zu sein und ist im Karl-Fries wie erwähnt nicht dargestellt. Eine Keule als Teil der awarischen Kriegerausrüstung, wie sie am äußersten rechten Bildrand zu erkennen ist, geht nicht auf historische Quellen zurück306 und hat im Bild wahrscheinlich die Funktion, die Awaren als kulturell rückständige Barbaren zu markieren.Bei dem Kruzifix tragenden Mönch307 an Karls Seite handelt es sich um den angelsächsischen Mönch Alkuin, einen engen Vertrauten Karls, der in der Christianisie-rung der heidnischen germanischen, vor allem sächsi-schen, und awarischen Stämme Europas eine wichtige Rolle spielte. Karl der Große und die Awaren in der Geschichts­ schreibung und der darstellenden Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Die Auffassung der Figur Karls des Großen und seiner Taten spiegelt die politischen Umstände in den deut-schen Staaten und dem neu gegründeten österreichi-schen Kaiserstaat wider bzw. markiert deutlich Differen-zen zwischen den beiden. Sabine Fastert diskutiert in ihrer Arbeit eingehend die Bedeutung Karls des Großen in der deutschen Geschichtsschreibung und Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.308 Das von Voltaire begründete Vorurteil der Aufklärung von dem Barbaren Karl war Anfang des 19. Jahrhunderts endgültig verschwunden und machte dem Bild eines frommen, gerechten und gebildeten Herr-schers Platz. Eine Reihe von Historikern beschäftigte sich – allerdings nach dem Ende der Freiheitskriege zuneh-mend kritisch – mit seinem Leben und Werk. 1810 schrieb Hans Karl Dippold eine sehr populäre, mit zahlreichen Sagen bereicherte Biographie, der liberale Historiker Luden veröffentlichte 1828 sein umfangreiches Werk zu Karl dem Großen, weitere Autoren wie Leo, Ellendorfer und Lorentz folgten. Mehr als andere historische Gestal-ten provozierte die Person Karls dabei widersprüchliche 303 Das Erste, das den Griechen an den Awaren auffiel, waren ihre langen schmutzigen Zöpfe, die sie geflochten trugen. Ihre Haar-tracht ist das Einzige, das der Zeitgenosse Agathias in seinem 552 – 559 verfassten Geschichtswerk über sie berichtet: „Sie sind […] ungekämmt, borstig und schmutzig und geschmacklos in Knoten geflochten.“ Zit. nach: Pohl (2002) p. 18. 304 Pohl (2002) p. 170.305 Ebd. p. 171.306 Zur Ausrüstung awarischer Krieger vgl.: Pohl (2002) p. 170f.307 Auch in Schnorr von Carolsfelds Gemälde Bekehrung und Taufe der Sachsen in den Kaisersälen der Münchner Residenz wird Karl der Große in Begleitung des Kreuz tragenden Mönches Alkuin dar-gestellt.308 Fastert (2000) p. 185 – 230.309 Zit. nach: Fastert (2000) p. 226.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Das zusammengedrängte Gedenken
Autor
Sigrid Eyb-Green
Verlag
Bibliothek der Provinz
Ort
Weitra
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-99028-075-1
Abmessungen
24.0 x 27.0 cm
Seiten
312
Schlagwörter
Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung 13
  2. Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
  3. Die Genese des Bildprogramms 19
  4. Erster Programmentwurf 19
  5. Der zweite Gesamtentwurf 35
  6. Zweiter und dritter Programmentwurf 39
  7. Die Aquarellentwürfe 40
  8. Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
  9. Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
  10. Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
  11. Die gekrönte Austria 47
  12. Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
  13. LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
  14. Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
  15. Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
  16. Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
  17. Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
  18. Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
  19. Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
  20. Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
  21. Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
  22. Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
  23. Die Aufgebote von 1797 125
  24. Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
  25. Der Kongress zu Wien 1814 137
  26. Einleitungzu den Herrscherporträts 143
  27. Rudolf I 144
  28. MariaTheresia 148
  29. Maximilian I 151
  30. Joseph II 154
  31. Albrecht II 156
  32. Ferdinand II 158
  33. Ferdinand I. der Gütige 161
  34. Franz Joseph I 164
  35. Rezensionen 166
  36. Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
  37. Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
  38. Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
  39. Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
  40. Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
  41. Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
  42. Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
  43. Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
  44. Zur Herstellung der Kartons 220
  45. Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
  46. Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
  47. Die Kartons zu den Allegorien 225
  48. Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
  49. Die Kartons zu den beiden Friesen 234
  50. Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
  51. Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
  52. Übergabe aller Kartons 249
  53. Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
  54. Ausstellungen der Kartons 252
  55. Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
  56. Die Papierbahn 257
  57. Die Zeichnung 260
  58. Die Fixierung 263
  59. Die Übertragung an die Wand 265
  60. Die Fresko-Probetafeln 267
  61. Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
  62. Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
  63. Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
  64. Transparentpapiere 276
  65. Papiere für die Kartons 279
  66. Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
  67. Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
  68. Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
  69. Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
  70. Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
  71. Literaturverzeichnis 301
  72. Quellenverzeichnis 305
  73. Personenregister 306
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