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88 Während jedoch die zunehmend kritische
Auseinan-dersetzung
mit Karl dem Großen in den deutschen
Staa-ten
auch zu teilweisen Sympathien für die von ihm
bekämpften freiheitsliebenden Volksstämme der Sachsen
und Langobarden führte, wurden Hunnen und Awaren in
der österreichischen Geschichtsschreibung durchwegs
sehr negativ dargestellt. Bei Ziska werden sie als
willkür-liche
Fremdherrschaft und als Unterjocher der
ursprüng-lichen
Einwohner des Gebietes beschrieben:
„Auch die Hunn=Awaren, ein gräßlich, wildumschweifend
Heidenvolk, befleckt mit allen Lastern der Unwissenheit und
sinnlicher Völlerei, das die Städte, als verhaßte Gefängnisse
fliehend, verächtlich den unterdrückten Eingebornen über
ließ, und in Ringen [Wagenburgen, meilenlangen Erdwällen]
hinter Flüßen oder unzugänglichen Morästen lebte; immer
bereit auf ihren pfeilschnellen Rossen zum Ueberfalle, Kampf
und Raube, – behaupteten ihre neuen Besitzungen, welche
die Enns und der Raabfluß begränzten, bis auf die Zeit
Carl’s des Grossen […].“315
Schon Karl der Große bot in seiner Propaganda
anläss-lich
seiner Awaren-Feldzüge das zeitlose Stereotyp der
Gefahr aus dem Osten auf316 und schloss damit an die
frü-hesten
Berichte über das Reitervolk an, das stets als wild,
zügellos, überheblich, verschlagen, unbeständig und
gie-rig
beschrieben wurde.317 Das Bild der bezopften Awaren,
des „hässlichen Volkes der haarigen Barbaren“318,
repräsen-tierte
in der Karolinger Zeit die Heiden schlechthin. Die
Illustration zu Psalm 44 des Utrechter Psalters aus dem
9. Jahrhundert etwa zeigt die heidnischen Krieger als
awarische Reiter mit Steigbügeln und kurzem
Reflex-bogen.
Karls größter Sieg, außer dem über die Sachsen, war
damit schon nach dem Urteil Einhards in seiner
Kaiser-Biographie
Vita Caroli Magni319 der Awarenkrieg: Er
sym-bolisierte
einen Schlussstrich unter die mehr als
zwei-hundert
Jahre, in denen das Abendland unter den
Einfällen jener wilder Völker aus Pannonien gelitten
hatte. Dass auch die Franken selbst zu den gentes gehört
hatten, wurde dabei rasch vergessen. 320
In der österreichischen vaterländischen
Geschichts-schreibung
wird Karl der Große in der Folge
hauptsäch-lich
als Gründer der Ostmark gewürdigt, von der
etymo-logisch
der Begriff Österreich abgeleitet wurde:
„Diesen, der Barbarenherrschaft entrissenen Bezirk von der
Enns bis an die Leitha reichend (ein Theil des heutigen
Nieder Österreichs) nach dem damaligen Ausdruck Markh,
woraus später Mark geworden, bestimmte jetzt Karl zu seiner
schützenden Vormauer seines weitläufigen Frankenreiches
von Osten her, und so erhielt die wichtige neu geschaffene
Provinz den bezeichnenden Namen Ostmark, woraus im
Laufe der Zeiten und Geschicke die Benennung Ost=Reich,
Oesterreich hervorging.“310
In der Funktion als Begründer der Ostmark und Schützer
des christlichen Glaubens findet Karl der Große auch
Eingang in Ziskas Geschichte der Stadt Wien. Als Gründer
der Petruskirche und durch den Aufbau zahlreicher, noch
„[…] seit Severins Zeiten übrig gebliebener Kirchen, die von
den Awaren und Hunnen verwüstet wurden“311, wird er zum
Wiederhersteller einer alten, auf Severin zurückgehenden
christlichen Tradition.
Auch Joseph von Hormayr bringt Karl den Großen in
die-sem
Sinn mit Severin in Verbindung, wenn er ihn als
Wie-derhersteller
Wiens312 bezeichnet:
„der Mann […], der diese Schöpfung und den Todesort
Marc Aurels, der S. Severins christliche Pflanzschule, aus
der Sturmnacht der Völkerwanderungen wieder hergestellt
hat […].“313
Besonders die Errungenschaften Karls des Großen als
Verbreiter und Verteidiger des christlichen Glaubens
werden hier akzentuiert. Tatsächlich fand noch im Jahr
791 eine Bischofskonferenz in den neu eroberten
Gebie-ten
statt, in der man die Bekehrung der Unterworfenen
plante, worüber auch Alkuin und der Salzburger Bischof
Arn korrespondierten.314
Vor allem für die Siedlungsgeschichte des
österreichi-schen
Donauraumes hatten die Awarenkriege
einschnei-dende
Konsequenzen; als Gründer der Marca Orientalis
war Karls Bedeutung primär geographisch auf Wien bzw.
einen Teil Niederösterreichs beschränkt, nur sekundär
wurde er zum Schöpfer der Ostmark und damit gleichsam
etymologisch eines Proto-Österreichs. Über diesen
Wir-kungskreis
hinaus konnte Karl nicht zu einer nationalen
Leitfigur im aktuellen politischen Geschehen stilisiert
werden wie in den deutschen Staaten, wo er durch die
weite Verbreitung des wieder entdeckten Sagenkreises
um seine Figur in die Gegenwart beschworen wurde und
Historiker durch ihre Interpretation seiner Persönlichkeit
und seiner Taten zumindest zum Teil eine nationale
Iden-titätsplattform
konstruieren konnten. 310 Ziegler (1843 – 1849) 1. Bd., p.
119.311
Ziska (1847) p.
40.312
Hormayr (1823 – 1825) 2. Bd., Heft 2, p. 40 –
43.313
Ebd. p.
53.314
Alkuins Briefe in: Berg (1986) p. 103ff. Zit. nach: Pohl (2002)
p. 10, Anm.
51.315
Ziska (1847) p.
33.316
Zum Awaren-Bild der Zeit: Pohl (2002) p.
312f.317
Ammianus Marcellinus, 4. Jhdt., zit. nach: Pohl (2002) p.
5.318
Johannes v. Ephesos 6, 45, nach der Übersetzung von Marquart,
1903. Zit. nach: Pohl (2002) p.
1.319
Die Entstehungszeit von Einhards Vita Caroli Magni wird in den
Zeitraum von 817 – 836 datiert.
320 Pohl (2002) p. 312.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306