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und umreißt in der Folge die Umstände der Belehnung:
„Als das deutsche Heer sich aus Appulien zurückzog, war der
Markgraf von Österreich gefallen, der Babenberger nimt das
Lehen in Anspruch und beruft sich auf die Verheißung Otto
des großen zu dessen Beweiß er den gebrochenen Bogen
zeigt, der leidende Kaiser (gramerfüllt) giebt ihm das Lehen
und stirbt den zweyten Tag danach in Rom, des tapferen
Mannes Panner folgen die kühnen Reken nach Österreich;
auf dem Bilde ist der Kaiser in (leidender Stellung) (weh
müthiger Erinnerung) frommer Erfüllung des vom großen
Vaters gegebenen Worts und die Krieger zujauchzend der
verdienten Belohnung
vorgestellt.“339Besonders
wird hier das Leiden des Kaisers und sein
bevorstehendes frühes Ende zwei Tage nach dem
Reichs-tag340
betont, dabei zeigt sich in der Überarbeitung des
Textes eine Bedeutungsverschiebung von einer zunächst
leidenden und gramerfüllten Figur hin zu einer
positive-ren
Interpretation als erst wehmütiger und schließlich
frommer Herrscher, der gleichsam als letzte ehrenvolle
Tat das Versprechen, das sein Vater gegeben hat, einlöst
und damit den Fortbestand des österreichischen
Kern-landes
sichert.
Im Wandgemälde wird diese Schilderung
dementspre-chend
umgesetzt; hier spiegeln sich in dem blassen,
erns-ten
Antlitz Ottos II. seine Krankheit und sein baldiger
Tod. Kupelwieser folgt darin der Formkategorie des
sor-genden
Herrschers, der, angesichts seines nahen Todes,
sterbend das Schicksal seiner Länder in die Hände eines
Nachfolgers oder Lehnsherrn legt. In den zahlreichen
Varianten des Sterbebildes (Telesko) wird vor allem der
Gedanke der translatio der Herrschergewalt auf den
Nachfolger formuliert. Ein Pendant zu Kupelwiesers
Gemälde aus der Spätzeit der Babenberger ist die
Feder-zeichnung
von Carl Ruß mit dem Titel Der sterbende Otto
kar IV. übergibt 1186 in Enns Leopold V. die Steiermark
(„Georgenberger Handfeste“).341 Dieses Muster wurde aber
auch in die unmittelbare Gegenwart übersetzt, wie das
Gemälde Am Sterbe bett von Kaiser Franz (1835) von Joseph
Danhauser zeigt, in dem Kaiser Franz sterbend den
jun-gen
Franz Joseph segnet.
Leopolds I. Eine Ausnahme bildet dabei Anton Zieglers
Geschichtswerk Vaterländische Immortellen, in dem sich
eine ausführliche Beschreibung der Belehnung findet,
die auch mit einer Illustration versehen ist.
„Alle Edlen und Großen des Reiches hatten sich zu diesem
Reichstage versammelt. Unter einem prächtigen Baldachine
saß auf erhabenem Throne der Kaiser in dem dazu bestimm
ten Prunksaal, in seiner rechten Hand das kaiserliche Zepter
haltend […] Da trat nun hervor des Reiches Herold in alter
thümlicher Tracht, erhob seinen mächtigen Stab, und sprach
mit heller und vernehmbarer Stimme ,Hohe Edle, vielvermö
gende Fürsten des Reiches – erledigt ist das Lehen der Ost
mark, wer nun gedenket Anwaltschaft darauf zu haben, und
diese erweisen zu können glaubt, der stelle jetzt seine Rede.‘
Ein dreimal wiederholter Trompetenstoß schmetterte durch
den hohen Saal und verkündigte den Aufruf. […] Als sich
darauf Leopold aus dem Geschlecht der Babenberger meldet,
erinnert sich der Kaiser dankbar aus seiner Jugend noch des
Ereignisses seines großen kaiserlichen Vaters, und gleichsam
ahnend, daß durch diesen die Ostmark ihren Retter finden
werde, wie vor 200 Jahren in dem glorreichen Kaiser Karl
dem Großen, ihren Gründer, so befahl ihm der gerührte
Herrscher, sich an des Thrones Stufen kniend nieder zu lasen.
Feierlich reichte ihm nun der Kaiser die goldene Krone in
seine Hände
[…].“338Auffallend
ist an diesem Text der Kontinuitätsgedanke,
der Leopold, den eine glücklichen Vorsehung zum Retter
der verwaisten Ostmark bestimmt hat, gewissermaßen in
die Nachfolge Karls des Großen
stellt.Über
die Gründe, warum Kupelwieser in seinem
Fres-kenzyklus
nicht den wesentlich weniger sperrigen
Bild-gegenstand
der Bärenjagd wieder aufgegriffen hat, lassen
sich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht wollte
Kupel-wieser
den Beginn der beiden großen
Herrscherdynas-tien
von Österreich in der Symmetrie der beiden
Beleh-nungen
einander gegenüberstellen und durch ihre auch
formal ähnliche Gestaltung als Staatsakt die
Rechtmäßig-keit
der Ansprüche beider Herrscherhäuser betonen.
Möglicherweise hatte die Episode aber auch zu stark
legendenhafte Züge, um der Forderung nach historischer
Wahrscheinlichkeit genügen zu können, und wurde
des-halb
nur noch symbolisch in Form des zerbrochenen
Bogens angedeutet – schließlich war auch das Motiv der
Schleierlegende aus dem Programm gestrichen worden.
Aus der Textpassage zur Belehnung Leopolds im
ers-ten
Programmentwurf geht hervor, dass Kupelwiesers
Interesse tatsächlich eher dem historischen Kontext des
Reichstags von Verona galt und nicht der Bogenlegende.
Im Bewusstsein, dass die Quellenlage für die Belehnung
sehr unklar ist, formulierte er dazu vorsichtig: „[…] soviel
uns aus den dunklen Quellen über diese Zeit erhalten […]“, 338 Ziegler (1838 – 1840) Text zu Bild Nr.
2.339
Siehe Transskript des Programmentwurfs I, Anhang. Die in
Klam-mern
angeführten Worte sind im Originaltext durchgestrichen.
Der Text wurde leicht gekürzt und Satzzeichen zur besseren
Les-barkeit
eingefügt.
340 Nach heutigem Forschungsstand fand der Reichstag in Verona
zu Pfingsten des Jahres 983 statt. Kaiser Otto II. starb nicht
unmittelbar danach, sondern am 7. Dezember in Rom im Alter
von 28 Jahren unerwartet an den Folgen einer
Malariabehand-lung.
Vgl.: Hansert (2006) p.
56.341
Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Pk 783A
Blatt Nr. 55, vor 1843.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306