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dierter Muster aus dem Formenschatz der sakralen Kunst
aus dem Bereich der profanen Wirklichkeit
herausge-hoben
und erhält stark symbolischen Charakter. Die
Formulierungen in biblischer Bildsprache nobilitieren
Leopold den Glorreichen, und das Zitat des Weltenrichter
Motivs verweist auf seine vorbildhafte Gerechtigkeit.
Unschwer lässt sich auch in der Frauengestalt mit dem
kleinen Kind am Arm der Typus Madonna mit Kind
erken-nen,
womit Kupelwieser an Vorbilder wie Raffaels Kleine
Cowper Madonna anschließt und so Tugendhaftigkeit und
Unschuld ins Bild bringt.
„Das öffentliche Gericht zu Tulln“ – Leopold der
Glorreiche in der Geschichtsschreibung der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts
Leopold der Glorreiche wurde in der
Geschichtsschrei-bung
des frühen 19. Jahrhunderts als besonders
gebilde-ter
Herrscher geschildert, der seine gute Erziehung
sei-nem
Lehrer Ulrich, dem späteren Bischof von Passau,
verdankte. Er förderte Künste und Wissenschaften und
machte seinen Hof, an dem möglicherweise auch das
Nibelungenlied entstand, zu einem Zentrum des
Minne-sangs.
Aufenthalts in München 1847 die Gelegenheit, das Fresko
in den Kaisersälen selbst zu besichtigen.370
Sowohl in Kupelwiesers Gerichtsszene zu Tulln als
auch in Carolfelds Darstellung des Landfriedens wurde
kein konkreter historischer Moment gewählt, sondern der
Herrscher allgemein als gerechter Richter und
Friedens-bringer
geschildert. Ähnlich dem Markgrafen Leopold,
sitzt Rudolf I. in Schnorr von Carolsfelds Komposition
dem Betrachter frontal zugewandt im Bildzentrum auf
einem Thron, umgeben ist er von Schöffen und
Beiste-hern.
Die Gruppe der beiden bereits verurteilten
Raubrit-ter,
die gebunden von Soldaten abgeführt werden, hat
Kupelwieser unmittelbar übernommen. Ebenso findet die
rechts vorne im Bild kniende Anklägerin, neben der zwei
Kinder stehen, in Kupelwiesers Darstellung ihre
Entspre-chung
in der Frau mit den beiden Kindern.
Wie Sabine Fastert in ihrer Studie über Schnorr von
Carolsfelds Freskenzyklus feststellt371, ist Rudolf nicht nur
inhaltlich Friedensstifter, sondern auch kompositionell
Ruhepunkt des Gemäldes. Damit wird dem Betrachter mit
rein formell-künstlerischen Mitteln der eigentliche
Bild-gegenstand,
Rudolfs Ordnungsliebe, vermittelt.
Kupelwiesers Gemälde erinnert durch seine strenge
Aufteilung in eine obere und untere Bildzone an den
Aufbau eines Altargemäldes, insbesondere an
Darstellun-gen
des Letzten Gerichts, auf denen der göttliche Richter
erhöht über den Gerichteten schwebt. Ganz in diesem
Sinne ist auch die Figur Leopolds aufgefasst, der in der
vertrauten Pose von Christus als Weltenrichter erhaben im
oberen Bildteil thront und dem Betrachter sein
ebenmä-ßiges
unbewegtes Antlitz zuwendet. Ganz allgemein wird
hier das weltliche Geschehen mittels Verwendung tra-
Abb. 143: Detail aus einem Blatt mit Skizzen zu Wand- und
Deckengemälden: Entwurf zu dem Gemälde „Das öffentliche
Gericht zu Tulln“; Bleistift, geripptes Papier, gesamt 260 x
330 mm; Universität Graz, Institut für Kunstgeschichte. Abb. 144: Detail aus dem zweiten Gesamtentwurf für die Wand-
und Decken gemälde: Bildfeld „Leopold VII. giebt Österreich
Gesetze und Privilegien 1180“; Bleistift, geripptes Papier, gesamt
418 x 569 mm; Nö. Landesmuseum, Inv. Nr. 7000/348.
370 „Im Sommer 1847 unternahm er [Führich, Anm.] mit seinem Freunde
Kupelwieser eine Reise […] nach München und den alten bairischen
Städten […] und lernte damals die unter König Ludwigs Aegide ent
standenen neuen Kunstwerke mit großer Freude und Befriedigung ken
nen.“ Führich (1875) p. 63. Am 22. August 1847 meldeten die
Sonntagsblätter: „[Kupelwieser und Führich] reisten nach München,
um die neuen Freskobilder kennen zu
lernen.“371
Fastert (2000) p. 88f.
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Buch Das zusammengedrängte Gedenken"
Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306