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zinnenabschluss sowie zwei runden Ecktürmchen.401
Möglicherweise wurde Kupelwieser durch diesen
mittel-alterlichen
Bau, dessen Namen schon auf die Periode der
Babenberger verweist, zu der burgähnlichen Architektur
im Hintergrund des Bildes
angeregt.Kupelwieser
erzeugt durch diese drei
architektoni-schen
Motive Stadtmauer, Karner und (rekonstruierte)
Burg sehr wirkungsvoll den Eindruck einer
frühmittelal-terlichen
Stadt. Durch die Synthese der einzelnen
archi-tektonischen
Zitate konstruierte der Künstler einen
fik-tiven
Zustand und verdichtet den Hintergrund zur Kulisse
einer idealen Vergangenheit.
gewicht halten und in voller Harmonie zusammenstimmen;
sie dürfte daher gegen das Ende des zwölften, oder im
Anfange des dreizehnten Jahrhunderts erbaut
sein.“396Die
besprochenen Werke belegen, wie intensiv die
Aus-einandersetzung
mit dem Tullner Karner, seiner
Bauge-schichte
und seiner kunsthistorischen Bedeutung gerade
zur Entstehungszeit von Kupelwiesers Freskenzyklus war.
Dabei beschäftigten sich nicht nur Historiker und
Archi-tekten
mit dem Gebäude, sondern auch Künstler wurden
dadurch inspiriert, wie etwa das 1844 in der Akademie
ausgestellte Bild Die Waldcapelle nach Motiven der alten
Capelle in Tuln und deren Umgebung von Friedrich Loos
bezeugt.397
Kupelwiesers Wahl des Motivs ist in Betracht des
gro-ßen
Interesses an dem Bau nicht überraschend, zumal der
Künstler den Architekten Oescher wahrscheinlich von
der Kunstakademie kannte und die Kapelle vielleicht
sogar selbst im Zuge seiner Reise entlang der Donau
1847 besichtigte. In Kupelwiesers Nachlass wurde in der
Kategorie Kupferstiche und Litografien auch eine
Samm-lung
von Blättern mit dem Titel Baudenkmale von Tuln ud
[sic!] Klosterneuburg vermerkt.398 Kupelwieser gelang es,
durch die Darstellung dieses unverfälschten Monuments
aus der Frühzeit des Erzherzogtums seinem Gemälde
einen besonders authentischen Charakter zu verleihen.
Zuletzt soll noch auf das schwer deutbare Gebäude im
Bildhintergrund eingegangen werden. Der heterogen
zusammengesetzte Komplex mit mehreren Türmen und
einem überdachten Eingang könnte als Versuch einer
Rekonstruktion der Babenbergerburg gedeutet werden,
die in Tulln bestanden haben soll. Sickingen
interpre-tierte
die alten Häuser auf dem Marktplatz als Reste
die-ses
Gebäudes:
„Das ehemalige alte Stadthaus, am östlichen Ende des alten
Marktplatzes, ist ein uraltes Gebäude, enthält ein Stockwerk
mit vier kleinen Thürmchen an seinen vier Ecken, mit plattem
Dache, und hat ganz das Ansehen einer alten Burg, die es
auch vielleicht einst war, so wie die demselben gegenüber
liegenden Bürgerhäuser, welche sämmtlich in sehr altem Styl
erbaut sind, gewölbte Zimmer enthalten, und der Sage zu
Folge, die alte Burg gebildet haben sollen.“399
Tatsächlich geht auch die neuere Forschung davon aus,
dass Tulln unter den Babenbergern ein wichtiger
landes-fürstlicher
Burgort war und in der Zeit anstelle des
Römerlagers eine Burg bestand.400
Ein burgähnliches Haus, das in die Mitte des 15.
Jahr-hundert
datiert wird, befindet sich noch heute in der
Jasomirgottgasse in Tulln. Der sogenannte „Babenberger
hof“ ist ein zweigeschossiger Eckbau mit hoher, ein
drit-tes
Geschoss vortäuschender Blendmauer und Rund- 396 Heider (1847) p. 3. Nach heutigem Wissensstand wurde die
Dreikönigskapelle erst im 2. Viertel des 13. Jahrhunderts unter
dem letzten Babenbergerherzog Friedrich II. erbaut. Vgl.: Dehio
Niederösterreich südlich der Donau, Teil 2 (2003) p.
2407.397
Kunstwerke, öffentlich ausgestellt im Gebaeude der oesterreichisch
kaiserlichen Akademie der vereinigten bildenden Kuenste bey St. Anna.
Im Jahre 1844, Wien 1844, Nr. 300.
398 Feuchtmüller (1970) p.
213.399
Sickingen (1835) p.
179.400
Die großen Burgen aus dem 11. Jahrhundert gehörten dem
Markgrafen oder bedeutenden Adelsgeschlechtern, wenn auch
ihre ursprüngliche Gestalt nicht mehr zu erkennen ist. Sie
dien-ten
als Wehrbauten und als Wohnsitz der adeligen Herren. Auf
Reichsboden angelegte, später markgräfliche Stadtburgen waren:
Melk, Tulln, Wien und Mödling. Die in das späte 13. Jahrhundert
zurückgehende Überlieferung, Tulln sei bevorzugte
Babenberger-Residenz
und Landeshauptstadt gewesen, beruft sich auf Jan
Enenkels Fürstenbuch und Stainreuters Österreichische Chronik,
beide aus dem späten 14. Jahrhundert; auch Rudolf IV. nennt sie
1364 „Hauptstadt des Landes Österreich“. Diese Bezeichnung ist
urkundlich nicht nachweisbar und wird in der neueren Literatur
bestritten. Vgl.: Lechner (1976) p. 228 und Dehio
Niederöster-reich
südlich der Donau, Teil 2 (2003) p.
2398f.401
Dehio Niederösterreich südlich der Donau, Teil 2 (2003) p. 2416.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306