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Abb. 170: Karton „Die Türkenkriege“, Seitenteil: „Bischof
Kollonitsch“; Kohle, dickes, geripptes Papier mit rauer
Oberfläche (Packpapier), 1500 x 700 mm; Nö. Landesmuseum,
Inv. Nr. 773. Auch in Anton Zieglers Vaterländischen Immortellen
(1838 – 1840) ist das beliebte Thema, in genrehafter
Manier illustriert, vertreten; in seinem späteren Werk
Vaterländische Bilderchronik beschreibt Ziegler die Szene
noch einmal höchst dramatisch:
„Auch der edle Bischof Kollonitsch zog aus, Beute zu suchen.
Waisen, welche die Türken bei ihrer Flucht zurückgelassen
hatten, sammelte er und ließ sie auf seine Kosten nähren und
erziehen. Einige dieser armen Kinder fand man noch über
den Leichen ihrer ermordeten Eltern liegen, welche dem Hun
gertode nahe, Blut statt Milch aus der Mutterbrust saugten.
[…] Auch alle armen erkrankten Christen, welche in uner
messlicher Anzahl im Lager und auf den Feldern umherirrten,
ließ er aufsuchen und auf seine Kosten
verpflegen.“430Kupelwieser
stellte Kollonitsch am linken Bildrand
inmit-ten
kleiner, teilweise nackter Kinder dar, die sich
schutz-suchend
um ihn scharen. (Abb. 170) Er griff durch die
Reduzierung auf die Hauptgruppe wieder auf die
Kom-position
Steinles zurück und deutete die Figur ebenfalls
gleichnishaft als Verkörperung der christlichen Caritas.
Durch den formalen Rückgriff auf den Topos des von
Kindern umringten Christus (Lasset die Kinder zu mir
kommen) und auf das Motiv der mittelalterlichen
Schutz-mantelmadonna
verlieh er der Figurengruppe sakralen
Charakter.
Trotz dieser Stilisierung bemühte sich Kupelwieser
jedoch um möglicht große historische Treue im Detail
und gestaltete Kleidung und Gesichtszüge von
Kollo-nitsch
nach zeitgenössischen Darstellungen wie dem
Porträt des Bischofs von Christoph Weigel.
Vom Nebenschauplatz zurück zur Hauptbühne des
Gemäldes, erkennt man als vordersten der drei Helden in
der Bildmitte Graf Niklas Salm, der, wie Starhemberg, sein
Schwert mit der Rechten gegen die fliehenden Türken
schwingt. Er wird als alter Mann mit weißem Bart in einer
Rüstung mit einem roten Überhemd dargestellt und
ver-tritt
hier gleichsam symbolisch die erste Wiener
Türken-belagerung
des Jahres 1529. Dabei war Salm keinesfalls
der einzige Befehlshaber, sondern wurde erst im Laufe
des 19. Jahrhunderts – wohl auch auf Betreiben der
gräf-lichen
Familie Salm431 – zu dem Helden der ersten
Türken-belagerung
stilisiert.432Lange
Zeit galt der Oberbefehlshaber der
Reichstrup-pen
und Stadtkommandant von Wien Pfalzgraf Philipp als
„[…] ,Das ist meine Beute, der Bischof sagt;/nach der
hat nicht einer von euch gefragt. Ich fand sie verlassen in
Harm und Noth,/erwürgt ihre Mütter, die Väter todt. Da
führt’ ich sie alle nach Wien herein/und will den Verwaisten
ein Vater sein.‘ Und als er zu ihnen gesagt das Wort, da
schwiegen beschämt wohl die andern dort;/was alle sie auch
nach Hause gebracht,/nicht glich es der Beute, die er
gemacht.“429 429 Johann Nepomuk Vogl: Der Sieger. Zit. nach: Pennersdorfer (1879)
p.
243.430
Ziegler (1843 – 1849) 3. Band, p. 152.
431 Kupelwieser war mit der Familie Salm bekannt und verkehrte im
Kreis um den Grafen Hugo Salm, zu dem auch Joseph Hormayr
und Josef Helfert zählten, auf Schloss Raitz bei Brünn.
432 Vgl.: Bisanz (1980) und Petrin (1996) p. 546, Anm. 34.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306