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178 eines Appells, nach Öffentlichkeit, weil die Szene „das
Herz der österreichischen Bevölkerung lebhaft berühren
mußte“.611 Krafft schuf dafür eine besonders
ungewöhn-liche
Form der Präsentation, indem er sofort nach der
Vollendung des Gemäldes, noch bevor es gefirnisst war,
eine Bretterbude auf der Bastei errichten ließ, in der die
eben geschaffene Komposition einen der größten Erfolge,
den je ein Gemälde in Wien errang,
feierte.„Man
wallfahrtete zu dem Gemälde, um die in das Bild geleg
ten patriotischen Gedanken und Gefühle auf sich einwirken
zu lassen. Ganz unvermutet erntete es bei allen Ständen einen
ungetheilten warmen enthusiastischen Beifall […]“,
schreibt Krafft.612
Das Beispiel der beiden besprochenen Gemälde
Johann Peter Kraffts verdeutlicht in besonderer Weise das
Bedürfnis patriotischer Geschichtsmalerei nach
Öffent-lichkeit.
Die Akademie der bildenden Künste übernahm
dabei im vormärzlichen Wien eine zentrale
Vermittler-Rolle
zwischen Kunst und Publikum. Auf Anregung
Met-ternichs,
des damaligen Kurators der Akademie, wurde
die Bestimmung, alle drei Jahre eine Kunstausstellung im
St. Anna-Gebäude zu veranstalten, in die neuen Statuten
der Akademie aufgenommen. Nationalkünstler sollten
dazu ihre in der Zwischenzeit verfertigten Arbeiten
ein-senden
können, damit das Publikum den Stufengang der
Künste beurteilen könne und ausgezeichneten Künstlern
dadurch die Möglichkeit gegeben würde, sich bekannt zu
machen. Metternich hatte für diesen Zweck schon 1811
vorläufig sein Palais bereit gestellt.613
1818 regte Metternich persönlich beim akademischen
Rat die Errichtung einer mit der Akademie verbundenen
Kunsthandlung an, in der Künstler und Studenten ihre
Werke ständig ausstellen und verkaufen konnten. Die
Kunsthandlung wurde 1834 geschlossen; ab diesem Jahr
fanden dafür die Kunstausstellungen jedes Jahr statt.614
Johann Peter Krafft nützte das neu geschaffene
Forum der Akademie-Kunstausstellungen, um sein
Gemälde Erzherzog Carl in der Schlacht bei Aspern einem
großen Publikum vorzustellen. Nach der Vollendung des
Gegenbildes Abschied des Landwehrmannes schien der
zeitliche Abstand bis zur nächsten Ausstellung jedoch zu
groß – wollte doch der Künstler nach der Vollendung
typus zu formulieren: das Ereignisbild.609 Indem er
narrative Elemente mit der denkmalhaften Pose des
Feldherrn äußerst wirkungsvoll verband, schuf er ein
unmittelbar mitreißendes Bild, das sehr viel direkter auf
die Betrachter wirken konnte als das die belehrenden
Darstellungen einer weit zurückliegenden Vergangenheit
vermochten. Die Form der Darstellung bezieht sich dabei
deutlich auf französische Vorbilder wie Napoleon über
quert den St. Bernhard von Jacques-Louis David, bei dem
Krafft zwei Jahre lang studiert hatte, oder Napoleon bei
Arcole von Jean Gros, wodurch die Machtstellung des
Feindes hier sichtbar auf die eigene Position übertragen
wird. Das Gemälde wurde 1813 in der Kunstausstellung
zu St. Anna öffentlich ausgestellt und erregte großes
Auf-sehen.
Im selben Jahr, 1813, bestellte Herzog Albert von
Sachsen-Teschen
bei Krafft als Gegenbild zur Darstellung der
Schlacht von Aspern ein Gemälde, das Rudolf in der
Schlacht gegen Ottokar Prˇemysl auf dem Marchfeld
dar-stellen
sollte. Als die Vorstudien gezeichnet und die
Lein-wand
bereits aufgespannt war, entschloss sich Krafft
spontan, anstelle der vorbildhaften Heldentat eines
Habsburg-Ahnen aus dem fernen Mittelalter den
frei-willigen
Aufbruch eines Bürgers zum Kampf gegen
Napo-leon
zu malen. Unmittelbarer politischer Hintergrund für
Kraffts Gemälde war der Sieg über Napoleon in der
Schlacht von Leipzig 1813, in der sich die in der Landwehr
organisierten Freiwilligen besonders ausgezeichnet
hat-ten.
Die Landwehr war in erster Linie von den
Erzherzö-gen
Carl und Johann initiiert und organisiert und wurde
mit Begeisterung aufgenommenen; Heinrich Joseph von
Collin etwa schrieb der Landwehr gewidmete Gedichte,
deren Vertonungen von tausenden Besuchern im
Burg-theater
mit Enthusiasmus mitgesungen wurden. In
die-sem
Rausch nationaler Erhebung entschloss sich Krafft
zur Darstellung Abschied des Landwehrmannes, die einen
einfachen Mann zeigt, der, in treuer Erfüllung seiner
vaterländischen Pflicht, zum Helden der Handlung und
Repräsentanten der Volkserhebung wird.610
In der Unmittelbarkeit der augenblicklichen
Situa-tion,
in der die Entschlossenheit des aufbrechenden
Landwehrmannes eindrucksvoll mit der stillen Trauer der
Familie kontrastiert ist, wird das Bild nicht zur Belehrung
über die Vergangenheit oder kunstvollen Inszenierung
eines historischen Geschehens, sondern zum Aufruf.
Krafft verlegte in diesem Bild Davids Schwur der Horatier
in das bürgerliche Milieu der Gegenwart und bediente
sich so erneut der künstlerischen Mittel des politischen
Gegners.
Mehr noch als das Gemälde der Schlacht von Aspern
verlangte Der Abschied des Landwehrmannes, als Prototyp 609 Zu Kraffts Gemälde Erzherzog Carl mit der Fahne des Regimentes
Zach in der Schlacht bei Aspern vgl.: Frodl-Schneemann (1984)
p. 42 –
49.610
Zu Kraffts Gemälde Der Abschied des Landwehrmannes vgl.: Ebd.
p. 35 –
42.611
Zit. nach: Ebd. p.
38.612
Zit. nach:
Ebd.613
Vgl.: Wagner (1967) p. 71.
614 Vgl.: Ebd. p. 92f.
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Das zusammengedrängte Gedenken
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Das zusammengedrängte Gedenken
- Autor
- Sigrid Eyb-Green
- Verlag
- Bibliothek der Provinz
- Ort
- Weitra
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-99028-075-1
- Abmessungen
- 24.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 312
- Schlagwörter
- Leopold Kupelwieser, Freskenzyklus, Geschichtsdarstellung, 19. Jahrhundert, Werkprozess, Karton, Fresko, Papier, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 13
- Zur Baugeschichte der Niederösterreichischen Statthalterei 15
- Die Genese des Bildprogramms 19
- Erster Programmentwurf 19
- Der zweite Gesamtentwurf 35
- Zweiter und dritter Programmentwurf 39
- Die Aquarellentwürfe 40
- Der Freskenzyklus Einleitung und Überblick 43
- Zu den schriftlichen und bildlichen Quellen Leopold Kupelwiesers 45
- Die einzelnen Bildfelder: Bezüge, Quellen, Intentionen 47
- Die gekrönte Austria 47
- Odoakervor dem heiligen Severin (465 – 470) 56
- LeopoldI. stürmt Melk (984) 63
- Die drei Erbauer der St. Stephanskirche 68
- Die Gründung der Universität Wien durch Rudolf IV. (1364) 77
- Kaiser Marc Aurel: Markomannenschlacht und Tod 81
- Zug Karls des Großen gegen die Hunnawaren 85
- Leopold erhält von Otto II. die Ostmark zum Lehen 90
- Rudolf I. verleiht die Lehen an Albrecht I 95
- Das öffentliche Gericht zu Tulln (1200) 100
- Ferdinand I. setzt 1540 die niederösterreichische Regierung ein 109
- Die Türkenkriege der Jahre 1529, 1683 und 1697 116
- Die Aufgebote von 1797 125
- Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern 132
- Der Kongress zu Wien 1814 137
- Einleitungzu den Herrscherporträts 143
- Rudolf I 144
- MariaTheresia 148
- Maximilian I 151
- Joseph II 154
- Albrecht II 156
- Ferdinand II 158
- Ferdinand I. der Gütige 161
- Franz Joseph I 164
- Rezensionen 166
- Fresko und Karton als Formen öffentlicher Kunst Das Fresko: zur Konstruktion eines Gattungsbegriffs 167
- Die Praxis nazarenischer Wandmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Technik und Stil 168
- Öffentliche Kunst im Spannungsfeld zwischen Auftraggeber und Publikum 174
- Formen der Öffentlichkeit: Leopold Kupelwieser und die Situation der Geschichtsmalerei in Österreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 175
- Leopold Kupelwiesers Statthalterei-Zyklus und Entwurf einer Geschichtshalle: österreichische Identitäten und ihre Inszenierungen 188
- Zum Problem der „geschichtlichen Wahrheit“ in der Geschichtsmalerei 199
- Kupelwiesers Statthalterei-Kartons im Kontext nazarenischer Kartonkunst: „Vom Wesen des Kunstwerks“ 201
- Materialtechnologische Aspekte Der Arbeitsprozess im Überblick: Kartonzeichnungen, Probetafeln und Freskoarbeiten 215
- Zur Herstellung der Kartons 220
- Die Kartons zu den fünf Hauptgemälden der Decke 220
- Fünf Kartons zu Herrscherporträts: Rudolf I., Maximilian I., Ferdinand II., Maria Theresia und Joseph II 224
- Die Kartons zu den Allegorien 225
- Die Kartons zu den historischen Gemälden an den Wänden 231
- Die Kartons zu den beiden Friesen 234
- Die weitere Verwendung von neun Kartons als Deckenbilder im Palais Questenberg-Kaunitz 235
- Die Präsentation der Kartons an der Decke des Palais Questenberg-Kaunitz Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1940 244
- Übergabe aller Kartons 249
- Zur Aufbewahrung jener Kartons, die nicht im Palais Questenberg-Kaunitz präsentiert wurden 249
- Ausstellungen der Kartons 252
- Herstellung und Verwendung von Kartons für Wand- und Deckengemälde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Beispiele und Quellenliteratur 257
- Die Papierbahn 257
- Die Zeichnung 260
- Die Fixierung 263
- Die Übertragung an die Wand 265
- Die Fresko-Probetafeln 267
- Kupelwiesers Palette und Maltechnik 270
- Kupelwiesers Papiere: Ein Überblick über die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie um 1850 273
- Die Papiere für Skizzen und Vorstudien 273
- Transparentpapiere 276
- Papiere für die Kartons 279
- Anhang: Programmentwürfe und Korrespondenzen Nö. Landesarchiv, Varia 8/1a: Programmentwurf I 294
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1b: Programmentwurf II 296
- Nö. Landesarchiv, Varia 8/1c: Programmentwurf III 297
- Nö. Landesarchiv, Varia 8: Schreiben von Leopold Kupelwieser an Freiherrn Kübeck von Kübau 297
- Nö.Landesarchiv, Varia 8: Anweisung Kübeck von Kübaus an Freiherrn Talatzko von Gestiecek 298
- Literaturverzeichnis 301
- Quellenverzeichnis 305
- Personenregister 306