Seite - 25 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Forschungsstand | 25
rungen an die Kriegsbegeisterung und an den Burgfrieden beschäftigen, einen his-
torischen Referenzrahmen darstellen. Wenn nicht, so bliebe aus meiner Sicht die
Arbeit dennoch ein Steinbruch für die Grazer Geschichte, aus dem sich Anregun-
gen und Argumente für das Für und Wider von Mikrohistorien abbauen ließen.
Forschungsstand
Das zentrale Element der unterschiedlichen Erlebnisse und Erfahrungen zu Kriegs-
beginn 1914 (man spricht von Juli- und Augusterlebnissen)47 war der Fachliteratur
zufolge eine „emotionsgeladene Aufregung [...], die sich selbst bei ein und dersel-
ben Person in einer Reihe von – oft widersprüchlichen und intensiven – Gefühlen
manifestieren konnte.“48 Im Zuge dessen gilt es bei jedem Menschen eine „Am-
bivalenz der Gemütslagen“49 anzuerkennen, in der kriegsaffirmative und nicht-
kriegsaffirmative Momente parallel verliefen oder einander zumindest schnell
ablösen konnten. Zwischen diesen beiden Polen überwog aber eine breite Palette
von „Weder-noch-Handlungsmustern“50, die sich aufbauend auf die Thesen von
Christian Geinitz51 weitgehend mit den Begriffen „Kriegsbereitschaft“, „Kriegs-
ergebenheit“ und „Pflichterfüllung“ umreißen lassen. Es versteht sich von selbst,
dass jeder Mensch auf seine eigene Art und Weise den Kriegsbeginn zu verarbeiten
bzw. zu bewältigen versuchte. Die Reaktionen auf den Kriegsausbruch waren da-
her „so verschieden wie die individuellen Lebensumstände“ selbst.52 Dass es zu je-
der Zeit immer solche und solche gab, gilt daher auch für den Ausbruch des Ersten
Weltkriegs. Geschichtswissenschaftliche Forschung, wie sie hier verstanden wird,
sieht sich aber gezwungen, es nicht bei dieser allgemeinen Feststellung zu belassen.
Sie muss aus meiner Sicht vielmehr die Vielzahl an Erwartungen und Erlebnissen
ordnen, was zwangsläufig geschichtswissenschaftliche Vereinfachungen mithilfe
von sektions-analytischen Faktoren (z. B. Milieu, Geschlecht, Konfession, Alter)
evoziert. Die Augustforschung stellte daher einige Aufrisse (Frameworks/Clusters)
über das kriegseuphorische Stimmen- und Stimmungsgeflecht zu Kriegsbeginn
auf, die die reichhaltige Komplexität hinter der Materie zwar reduzierten, aber in
verständlicher Weise parzellieren konnten. Diese Einteilungen grenzen das Aus-
47 Vgl. z. B. Liemann (2014) und (2013).
48 Kuprian (2007), 276.
49 Begriff nach Christian Geinitz und Uta Hinz (1997), 26.
50 Überegger (2002), 258.
51 Geinitz (1998).
52 Leonhard (2014), 131.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453