Seite - 354 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen354
sichtlich über diese Aktion, wenngleich es süffisant hinzufügte, dass der Gastwirt
den besagten „Heinzelmännchen“ Rache schwor, weil sie ihm zuvorgekommen
waren. Für die bürgerliche Presse waren die einzelnen Namensänderungen auf je-
den Fall lobenswerte Kriegserscheinungen, die die „Reinigung“ der Menschen vo-
rantrieben. Anzumerken ist bei dieser Thematik jedoch, dass nicht wenige renom-
mierte Institutionen, wie zum Beispiel das traditionsreiche Café Stadtpark, das
Café Hilmteich, das Café Styria (am Lendkai)540 oder das Nacht-Café Joanneum
(Raubergasse)541 keine Namensänderung durchführten. Sie konnten ihre Cafés
sprachpolitisch gesehen problemlos weiterführen, zumal es vor keinem dieser Kaf-
feehäuser zu etwaigen Protesten, die eine Umbenennung forderten, kam. Ebenso
wenig forderten die bürgerlichen Zeitungsredaktionen eine etwaige Umbenen-
nung. Anfang August wurde das Café Neutor eröffnet542 und dieses Kaffeehaus
blieb wie die vier anderen genannten Kaffeehäuser von Presseattacken, geschweige
denn von „antifranzösischen“ Protestkundgebungen, verschont. Das rührt unter
Umständen daher, dass diese Kaffeehäuser als „hurrapatriotische“ Orte bekannt
waren, in denen im August – als die großen Straßenumzüge vorbei waren – weiter-
hin nachmittägliche oder abendliche Konzerte abgehalten wurden.543
Modeboykott
Der Druck zum „Deutschen“ („Germanisierungsdruck“) manifestierte sich nicht
nur in der „Sprachbereinigung“, sondern auch in den vielen Boykottaufrufen,
denen zufolge man keine „undeutschen“ Waren kaufen sollte. Einer dieser Ap-
pelle lautete: „Fort mit den Waren unserer Feinde! Fort mit der Nachäfferei ih-
540 Café „Styria“ [Annonce], in: Grazer Tagblatt, 9.8.1914, 21.
541 Nacht-Café „Joanneum“ [Annonce], in: Grazer Tagblatt, 9.8.1914, 21.
542 Aus dem Gastgewerbe, in: Steiermärkisches Gewerbeblatt, 1.9.1914, 6.
543 Ähnliches trifft gewissermaßen auf die Grazer Bühnen zu. Die Grazer Oper und das Schauspiel-
haus spielten auch nach dem Mai 1915 Guiseppe Verdi (Rigoletto, Aida). Ebenso spielten sie
Shakespeare (Macbeth, Othello) und Georges Bizet (Carmen). Im Oktober 1914 spielte die Oper
zum Beispiel Bizets „Carmen“. Die Tatsache, dass Bizet bereits seit Langem tot war, gewährleistete
– selbst vom damaligen Standpunkt ausgesehen – die Legitimität der Aufführung dieses zeitlosen
Klassikers. Eine Rezension findet sich in: (Opernhaus.), Grazer Tagblatt, 13.10.1914 (Abendaus-
gabe), 4. Vgl. zudem einige Verdi- und Shakespeare-Ankündigungen im Tagblatt: Opernhaus
(Stadt-Theater), in: Grazer Tagblatt, 16.2.1915 (2. Morgenausgabe), 10; Opernhaus (Stadt-The-
ater), in: Grazer Tagblatt, 26.9.1916 (2. Morgenausgabe), 6; Opernhaus (Stadt-Theater), in: Gra-
zer Tagblatt, 19.10.1916 (2. Morgenausgabe), 6; Opernhaus (Stadt-Theater), in: Grazer Tagblatt,
8.11.1916, 12; Schauspielhaus, in: Grazer Tagblatt, 3.11.1917, 6.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453