Seite - 374 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen374
durch Ausweis der Namen und des Truppenkörpers). In den betreffenden Artikeln
sprach man nun nicht mehr von „Verbrüderungen“ und der „Volksseele“. Schließlich
waren diese Vorkommnisse wirkliche Probleme, die das Zusammenleben in der Stadt
belasteten. Dementsprechend waren es Probleme, die den Grazerinnen und Grazern
vor Augen führten, dass nicht alles im Grazer „Feldlager“ so funktionierte, wie man
es sich erhofft hatte. Die Presse widmete sich diesen Erscheinungen, zumal sie viele
(aber nicht alle) Alltagsmomente auf ihre „Einheitstauglichkeit“ prüfte. Die Stichwaf-
fenattacken bestanden die Einheitsprüfung selbstverständlich nicht. Nur wenige Tage
nach der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung mussten sich die Redaktionen
dann mit der Desertation innerhalb der k. u. k. Armee beschäftigen.656 Die Ausmaße
der Stellungsflucht und der Desertion hielten sich anfänglich in Grenzen.657 Aber es
gab Deserteure (sowie andere „Drückeberger“) und sie widersetzten sich oft ihrer
Verhaftung.658 Selbstredend bestanden auch sie nicht die Einheitsprüfung.
Neue Wachposten
Abgesehen von den ausziehenden Soldaten wurde die Wahrnehmung von Graz
als ein „Feldlager“ durch die Präsenz anderer militärisch respektive hierarchisch
organisierter Verbände verstärkt. Hierbei stechen hauptsächlich die (städtische)
Sicherheitswache, der (staatliche) Landsturm sowie die (privaten) Bürgerwehren
hervor. Alle diese Verbände patrouillierten durch die Straßen der Stadt Graz und
ihrer „Vororte“. Die Grazer Sicherheitswache litt, wie viele (aber nicht alle) Berufs-
sparten, an Personalmangel. Allein bis Ende September 1914 wurden an die 100
Mann einberufen.659 Zwar reagierte die von der Stadt Graz finanzierte Wache so-
fort, indem sie neue Wachmänner rekrutierte. Dennoch fehlte es der Wache stän-
dig an ausreichend Personal. In einem Bericht von Ende September hieß es dazu,
656 Einem dieser Artikel zufolge feierte ein (namentlich genannter) Deserteur mit seiner „Geliebten“
in einem Grazer Gasthaus. Danach gerieten sie in Streit. Er stieß sie in die Mur. Vgl. Angebli-
cher Mordversuch eines Deserteurs an seiner Geliebten, in: Grazer Tagblatt, 8.8.1914 (Abendaus-
gabe), 5.
657 Zur Desertation vgl. insbesondere: Zückert (2011); Überegger (2003).
658 Vgl. z. B. Schwierige Verhaftung, in: Grazer Tagblatt, 27.11.1914 (Abendausgabe), 3. Siehe des
Weiteren den Artikel: Angeblicher Mordversuch eines Deserteurs an seiner Geliebten, in: Grazer
Tagblatt, 8.8.1914 (Abendausgabe), 5.
659 Grazer Stadtrat an Statthalterei-Präsidium, 20.9.1914, in: StLA, Statt. Präs. E91/1844/1914. Ab-
seits der Akten siehe auch: Aufruf zur Meldung für Probedienstleistung im städtischen Sicher-
heitswachkorps, Aufruf des Grazer Stadtrats vom 26.8.1914, in: Amtsblatt der landesfürstlichen
Hauptstadt Graz (31.8.1914), 397.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453