Seite - 105 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ | 105
Volksblatt orientierte. Mit ihrer erst spät erfolgten Hinwendung zur Kommentie-
rung ernstzunehmender tagespolitischer Themen stand die Kleine Zeitung unter
den zahlreichen „Mengenblättern“ der cisleithanischen Reichshälfte nicht allein
da. Die meisten deutschsprachigen „Mengenblätter“ vollführten gegen Ende Juli
eine Kehrtwende zum Politischen (z. B. die Illustrierte Kronenzeitung).168
Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“
Die Grazer Presse blickte aufgrund der wenigen Stellungnahmen aus Wien unent-
wegt nach Ungarn, von wo die ersten außenpolitischen Stellungnahmen kamen:
„Das ungarische Abgeordnetenhaus ist gegenwärtig der einzige Ort, wo ein offe-
nes Wort über die brennenden Fragen der Monarchie gesprochen werden kann;
in Oesterreich erhalten wir die Meinung, die wir haben müssen, in den Regie-
rungsblättern fix und fertig vorgelegt.“169 Nicht nur das hier zitierte Parteiorgan
der deutschnationalen Pantz-Partei kritisierte die Sistierung des Reichsrats durch
die Regierung, auch die anderen deutschnationalen Blätter170 sowie der sozialde-
mokratische Arbeiterwille missbilligten diesen Umstand aufs Schärfste. Im Ar-
beiterwillen hieß es einmal diesbezüglich: Das „österreichische Parlament ist ja
vom Ministerium Stürgkh-Hochenburger beiseite geschoben und die Österrei-
cher müssen nach Budapest horchen, wenn wir wissen wollen, was man in den
‚höheren Regionen‘ will.“171 Die unentwegte Kritik am Zurückdrängen respektive
Abstellen demokratischer Partizipationsmöglichkeiten durchzog die sozialdemo-
kratischen Leitartikel bereits seit Monaten. Die Sistierung des Reichsrats stellte
dabei einen weiteren Höhepunkt in der aus seiner Sicht als katastrophal beurteilten
Regierungsarbeit dar (Stürgkh – „der Diktator“, „Oesterreich im Zeichen des §
14“,
„Die Maifeier im Zeichen des § 14“).172 Auch über die langwierigen Auseinander-
setzungen, wie es nun mit dem steirischen Landtag weiter gehen sollte, erzürnte
sich der Arbeiterwille: „Seit mehreren Jahren siecht der steirische Landtag hin.“173
Mitte Juni 1914 stand im Arbeiterwillen: „Die ganze Rechtsordnung im Staate ist
168 Ehrenpreis (2005), 39.
169 Die südslavische Frage im ungarischen Parlament, in: Deutsche Zeitung, 19.7.1914, 2.
170 Vgl. z. B. Serben im österreichischen Abgeordnetenhause, in: Grazer Tagblatt, 24.7.1914, 1.
171 Die beste Auseinandersetzung mit Serbien, in: Arbeiterwille, 19.7.1914, 1.
172 Die Schlagzeilen stammen aus: Stürghk [sic] – der Diktator, in: Arbeiterwille, 15.3.1914, 1; Oes-
terreich im Zeichen des § 14, in: Grazer Tagblatt, 10.4.1914, 1; Die Maifeier im Zeichen des § 14,
in: Arbeiterwille, 3.5.1914, 1.
173 Den steirischen Landtag einberufen oder auflösen!, in: Arbeiterwille, 14.6.1914, 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453