Seite - 116 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz116
urteilt.232 Ein Fleischermeister und Mitglied der slowenischen Partei habe gemäß
dem Tagblatt im steirischen Bezirk Windisch-Feistritz Soldaten dazu angehalten,
nicht auf die Serben zu schießen, woraufhin er verhaftet wurde. Das Tagblatt, das
wie alle bürgerlichen Tageszeitungen vielfach von den „Serbenfreunden“ berich-
tete, fügte hinzu, dass die Verhaftung des Fleischermeisters eine „große Aufre-
gung“ im slowenischen Milieu hervorrief.233
Lokalisierungsfrage
Am Ende löste der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Serbien (25. Juli)
immerhin eine von vielen Ungewissheiten. Von nun an überschlugen sich die po-
litischen Großereignisse entlang der Kriegs- und Neutralitätserklärungen täglich,
wobei jede neue klärende Nachricht neue Ungewissheiten mit sich brachte. Das
Volksblatt schrieb noch am 6. August: „Jede Stunde rollt eine neue Frage auf, und
jede neue Frage gebietet klare Stellungnahme nach allen Seiten hin.“234 Etwaige
Erwartungssicherheiten wurden so in diesen Tagen vielfach strapaziert, was aber
der steigenden Dichte an neuen Erwartungen keinen Abbruch tat. Unsicher war
man sich zum Beispiel hinsichtlich der Haltung Russlands im „Serbienkrieg“. Dass
„Sarajevo“ unter Umständen zu einem europäischen Krieg führen könnte, wurde
nur vom Arbeiterwillen sehr früh geäußert. Aber selbst seine Szenarien drehten
sich prinzipiell mehr um einen Zweistaatenkrieg als um einen Krieg, in den auch
Russland eingreifen könnte. Solche Einschätzungen fußten auch auf Nachrichten,
die die Grazer Redaktionen ausländischen Zeitungen entnahmen. Diese beschäf-
tigen sich zwar bis auf wenige Ausnahmen nur einige Tage lang mit dem Attentat,
sie alle haben aber die politisch-moralische Verurteilung des Attentats gemein-
sam. Aufbauend auf diesen Berichten ausländischer Redaktionen (die als solche
wie die Grazer Redaktionen nur nach ihrem Wissenshorizont fernab der hinter
den Kulissen stattfindenden Julikrise die Lage beurteilen konnten) entstand in den
Grazer Zeitungen durchaus das Bild, dass das Ausland mit Ausnahme Russlands
hinter Österreich-Ungarn stehe. Über die Haltung Russlands wurde seit dem Ul-
timatum viel spekuliert. Zu einem vorläufigen Schluss kamen die Redaktionen
nicht. Eine Antwort auf diese Frage schuf erst das Bekanntwerden der russischen
Generalmobilmachung in Graz. Russland leitete seine Generalmobilmachung am
232 Nieder mit dem Krieg, weil ich nicht heiraten kann!, in: Arbeiterwille, 4.10.1914, 7.
233 Verhafteter Serbenfreund, in: Grazer Tagblatt, 28.7.1914 (Abendausgabe), 4.
234 Nach der englischen Kriegserklärung!, in: Grazer Volksblatt, 6.8.1914, 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453