Seite - 398 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 398 -
Text der Seite - 398 -
| Alltag und
Einheitsprüfungen398
stützungsleistungen der „rastlos[en]“790 und „emsige[n]“791 Pfadfinder und die des
Wandervogels vorwiegend am Grazer Bahnhof. Dort verteilten die uniformier-
ten Kinder und Jugendlichen „Liebensgaben“, halfen beim Ein- und Ausladen der
Postzüge und erteilten sofern möglich weitere Auskünfte. Manchmal arbeiteten
die Kinder (fernab der elterlichen Aufsicht) in der Nacht, was für sie unter ande-
rem ein „Jux“ sein konnte, aber rein rechtlich gesehen problematisch war. Zusätz-
lich verkauften sie Tageszeitungen (Den Preisaufschlag erhielt das Rote Kreuz).
Der Verkauf verlief aber – so stand es zumindest einmal im Volksblatt – nicht zur
Gänze reibungslos: „Wie wir erfahren, haben verschiedene Personen den Pfadfin-
dern beim Vertriebe von Blättern Schwierigkeiten bereitet.“792 Ferner fungierten
die Pfadfinder als Fahrradkuriere und sammelten Spenden für das Rote Kreuz so-
wie für diverse wohltätige Zwecke. Zudem halfen sie bei der Produktion und Ver-
packung von „Liebesgaben“. Daneben verkauften sie am Samstag den 14. Novem-
ber Chrysanthemen. Aus dem Erlös der verkauften Chrysanthemen finanzierte
man das Binden schlichter Grabkränze für die Kriegstoten. Führt man sich die
Aktionen der Kinder- und Jugendgruppen vor Auge, umfasste deren Radius so-
wohl die rechte Seite der Mur, hier vor allem das „Kasernenviertel“ (Hauptbahn-
hof), als auch die linke Uferseite, wo eher die bürgerlichen Bezirke lagen. Die von
Erwachsenen instruierten Kinder und Jugendlichen erhielten so in ihrer Ferienzeit
sowie abseits der elterlichen Kontrolle mit ihrer Uniform „überallhin Zutritt [...],
auch dort, wo es zivilen Personen infolge militärischer Posten hinzugelangen un-
möglich war.“793
Die „Soldatenspiele“ der Kinder
Die öffentliche Festschreibung eines „Ideals der Jugend“ wurde nicht nur anhand
der Kinder- und Jugendgruppen praktiziert, sondern mehrmals auch mittels der
sogenannten „Soldatenspiele“ („Kriegsspiele“), bei denen Kinder und Jugendliche
(Abendausgabe), 3; Heranziehung der Jugend zu landwirtschaftlichen Arbeiten, in: Grazer Tag-
blatt, 1.8.1914, 3; Straßenverkauf der Grazer Tagesblätter, in: Grazer Montags-Zeitung, 10.8.1914,
[ohne Seitenangabe]; Chrysanthemen-Stunden, in: Grazer Tagblatt, 13.11.1914 (2. Morgenaus-
gabe), 3; Liebesgabenverpackung, in: Grazer Tagblatt, 29.11.1914 (2. Morgenausgabe), 3.
790 Momentaufnahmen von der Mobilisierung, in: Grazer Tagblatt, 30.7.1914, 11.
791 Der Soldatentag, in: Grazer Tagblatt, 2.12.1914 (Abendausgabe), 2.
792 Verkauf der Tagesblätter durch die Pfadfinder, in: Grazer Volksblatt, 4.8.1914, 5.
793 Pfadfinderwesen, Erwägungen und Betrachtungen, in: Alpenländische Pfadfinder-Zeitung
(1916), Nr. 11, 89.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453