Seite - 144 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof144
Zeitungen dürfen solches wegen der Beunruhigung nicht schreiben, oder bald werden
gar keine Zeitungen mehr erscheinen dürfen und dergleichen.“37
Die „patriotischen“ Straßenumzüge
Kehrt man zurück zum Abend des 25.
Juli, so gingen die meisten Menschen, nach-
dem sie sich über die neusten Nachrichten informiert und darüber diskutiert hat-
ten, nach Hause (= 1. Gruppe). Andere gingen in ein Gasthaus oder in ein Kaffee-
haus (= 2. Gruppe). Einige Grazer und Grazerinnen zogen jedoch trotz „des
strömenden Regens“38 zu dem an der Ecke Elisabethstraße/Glacis39 gelegenen
Korpskommando. Diese dritte Gruppe bildete rückblickend den ersten großen
„patriotischen“ Straßenumzug von Graz.40 Die Männer und Frauen, die diesen
„patriotischen“ Straßenumzug bildeten, lebten den „Hurrapatriotismus“. Sie er-
hofften sich aber auch „von den bei den Fenstern des Korpskommandos heraus-
schauenden Chargen neue Nachrichten“.41 Schließlich waren sie aufgrund der all-
gemeinen Wehrpflicht direkt vom Abbruch der diplomatischen Beziehungen
betroffen. Der Kommandant des 3. Korps Emil Colerus von Geldern saß aus Sicht
der Zeitgenossen sinnbildlich an der Nachrichtenquelle.42 Und er schien (genauso
wie der zeitlich später aufgesuchte Statthalter Manfred von Clary und Aldringen)
das „Schicksal“ zu verkörpern bzw. zu bestimmen.43 Obendrein „wären“ die Aus-
künfte der beiden Herren frei von jedweder parteigeprägten Pressepolemik. Die
Akklamation an den Korpskommandanten missglückte letzten Endes, da dieser im
nahegelegenen Steirerhof44 sein Abendessen einnahm. Dieses Scheitern erwähnte
auch der Arbeiterwille, wenngleich nicht hämisch, so doch mit dem Hinweis, dass
es sich beim Steirerhof um den „klerikalen Stammsitz“45 von Graz handelte. Dieser
negativ konnotierte Hinweis legt durchaus seine strikte Ablehnung des freudig-
37 Gegen das Verbreiten dummer Gerüchte, in: Arbeiterwille, 5.8.1914, 2.
38 Die Aufnahme der Kriegsnachricht in der Stadt, in: Grazer Tagblatt, 26.7.1914, 32.
39 Die große Grazer Ringstraße.
40 Die „patriotischen“ Straßenumzüge fanden in der Woche von 25. bis einschließlich 31. Juli statt.
41 Die Aufnahme der Kriegsnachricht in der Stadt, in: Grazer Tagblatt, 26.7.1914, 32.
42 Anfang August wurde das von Emil Colerus von Geldern geleitete 3. Korps (1883–1914) plan-
mäßig durch das Militärkommando Graz (1914–1918) ersetzt. Erwin von Mattanovich war zwi-
schen 1.
August 1914 und 31.
Juli 1916 Militärkommandant von Graz. Vgl. Egger (1982); Burkert
(1981), 167 f.
43 Ein weibliches Pendant zu diesen „großen“ Männern schuf man damals nicht.
44 Ein renommiertes Hotel (und Restaurant) am Jakominiplatz.
45 In Erwartung der Entscheidung, in: Arbeiterwille, 26.7.1914, 5.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453