Seite - 110 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz110
Fallende Börsenkurse
Der Unmut über die politische Großwetterlage verschärfte sich durch die im Juli
fallenden Kurse an der Wiener Börse.197 Auch damals galt die Börse als „Barome-
ter der politischen Witterung“198 und es frappiert wenig, dass die Grazer Tages-
zeitungen die Juli-Deroute an der Wiener Börse enorm verfolgten. Das Attentat
von Sarajevo hatte noch keine spürbaren Veränderungen der Kurse zur Folge.199
Die Kurse fielen erst seit dem gemeinsamen Ministerrat (7. Juli) und der Kurs-
sturz hielt bis zum 24. Juli an. In dieser Zeit kam es nur sporadisch zu Kurser-
holungen. An „der Börse hat sich in den letzten Tagen ein Entwertungsprozeß
in einer Ausdehnung vollzogen, wie ihn niemand vorher gesehen hat.“200 Dabei
beherrschten die „Angstverkäufe und Zwangsverkäufe [...] die Situation und sie
haben in den letzten Tagen einen förmlichen Zusammenbruch herbeigeführt.“201
Es herrschte daher den offiziellen Drahtnachrichten aus Wien zufolge eine „allge-
meine Erregung“ und „eine tiefgehende Verstimmung“ an der Wiener Effekten-
börse (Wertpapierbörse).202 Am Tag, an dem das Ultimatum an Serbien gestellt
wurde (23. Juli), fielen die Kurse zwar weiter, wenngleich der Börsenverkehr „in
vollständig ruhiger Haltung“ abgewickelt werden konnte: „Die gestern erfolgte
Demarche in Belgrad hat die Börse nicht unvorbereitet getroffen und sie keines-
wegs außer Fassung gebracht.“203 Am darauffolgenden Tag, dem 24. Juli, kam es
wieder zu einem Anstieg der Kurse, der bis zur Sistierung der beiden Sektionen
der Wiener Börse anhielt. Am 26. Juli wurde die Effektenbörse und am 1. August
die Warenbörse sistiert.204 Ebenso wurden die anderen großen Börsen der Mo-
narchie, das heißt jene in Budapest (Ofen-Pest, Pest-Buda), Triest (Trieste) und
Prag (Praha), sistiert.205 Die Zeitungen führten die fallenden Kurse auf die neue
politische Großwetterlage (und die Vorgänge in Albanien) zurück. Nur vereinzelt
nannte man von offizieller Seite auch weitere den Kurssturz bedingende oder we-
197 Zur Geschichte der Wiener Börse siehe nach wie vor: Baltzarek (1973). Vgl. zum Börsengesche-
hen 1914 auch: Kronenbitter (2003a), 479 f.
198 Die beste Auseinandersetzung mit Serbien, in: Arbeiterwille, 19.7.1914, 1.
199 Ich stütze mich hier auf die in den Grazer Tageszeitungen regelmäßig abgedruckten Kursberichte
der Wiener Börse.
200 Börsenwoche. (Originalbericht des „Grazer Tagblattes“.), in: Grazer Tagblatt, 12.7.1914, 28.
201 Ebd.
202 Die Zitate entnahm ich: Wiener Börse, in: Grazer Tagblatt, 14.7.1914, 13; Wiener Börse, in: Gra-
zer Tagblatt, 21.7.1914, 13.
203 Wiener Börse, in: Grazer Tagblatt, 25.7.1914, 12.
204 Baltzarek (1973), 108 f.
205 Ebd.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453