Seite - 234 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof234
binden. Ferner galt es Arbeitsplätze zu erhalten. Ich stimme sonach Jörn Leonhard
zu, wenn er schreibt: „Die bis heute gängige Vorstellung, nach der die Zeitungen
im Krieg zu einer reinen Kriegspresse degradiert und auf ein zahmes Instrument
regierungsamtlicher Kriegsdeutungen reduziert worden seien, traf so keinesfalls
zu.“525
Erste „Soldatenerzählungen“
Anfang September machten die Vorgänge am Grazer Hauptbahnhof viele für un-
möglich gehaltene Kriegsauswirkungen sichtbar.526 Die am Bahnhof ankommen-
den Verwundeten und Kranken, die man zuvor nur aus den (Verwundeten- bzw.
den) Verlustlisten kannte, waren im Großen und Ganzen erschöpft, dehydriert,
verwundet, invalid, krank, „verstört“, „gebrochen“ und desillusioniert. Die ver-
wundeten oder kranken Soldaten der eigenen Armee, die Kriegsgefangenen
(ebenso krank und verwundet), die vielfach, aber nicht ausschließlich zwangsde-
portierten bzw. internierten Flüchtlinge überforderten Graz.527 Die von der Etappe
und den Feldlazaretten nach Graz kommenden Krankenschwestern, Hilfsschwes-
tern und einfachen Helferinnen wurden von der Presse nahezu vollständig ausge-
blendet. Die Vorbereitungen für die Aufnahme der Soldaten und Internierten ent-
sprachen bei Weitem nicht den Anforderungen. Der Mangel an Erfahrung mit den
„Begleitumständen“ von Krieg zeigte sich daher auch an den Versuchen, die neuen
Herausforderungen am Bahnhof zu bewältigen. Eine Unzahl an Problemen kam zu
Tage, die die Grazer Bevölkerung vor enorme Belastungen stellte. Daraus entstan-
den mehrere Konflikte, an denen sich die Brüchigkeit der Einheitsbildung erken-
nen lässt.528 Es kam zu kleineren Konflikten zwischen dem Militär und der Zivilbe-
völkerung. Ferner zeigte sich die Presse hinsichtlich des Verhaltens einiger
Zivilpersonen erbost. Zudem stritten sich die Zeitungen untereinander. Des Wei-
teren gerieten Einheimische und Fremde aneinander. Obendrein verschärfte sich
der sogenannte Stadt-Land-Konflikt. Darüber hinaus kam es zu Unstimmigkeiten
525 Leonhard (2014), 349, ebenso: 15, 383, 511 f., 583, 750, 801, 899. Vgl. zudem: Moll (2007a), 41.
526 Vereinzelt kamen die Soldaten und Flüchtlinge auch am Staatsbahnhof und Köflacher-Bahnhof
an.
527 Allgemeines zu den Kriegsgefangenen in der Steiermark in: Halbrainer (2014), 12–61; Moll
(2014), 62–82; Schöggl-Ernst (2014); Karner (22005), 109–112; Hansak (1993). Zu den Flücht-
lingen: Moll (2014), 62–82; Halbrainer (2014), 12–61; Karner (22005), 109–112; Weber (1997).
Grundlegendes zum k. k. Zivilinterniertenlager (am) Thalerhof (1914–1917) in: Goll (2010).
528 Vgl. dazu auch: Moll (2014), 62–82.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453