Seite - 176 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 176 -
Text der Seite - 176 -
| Innenstadt und
Bahnhof176
– Kriegserklärungen des August 1914 keine „patriotischen“ Umzüge in der Innen-
stadt mehr entstehen ließen. Zumindest nicht in dem – letztendlich demoskopisch
betrachtet kleinen, aber hegemonial medienwirksamen – Umfang, wie er in den
letzten Julitagen zu verzeichnen war.
Großbritannien und Italien
Das Ende der „patriotischen“ Straßenumzüge in Graz ist hauptsächlich auf die
Nachricht von der russischen Generalmobilmachung zurückzuführen. Von der
russischen Generalmobilmachung (30. Juli) berichteten die Grazer213 (wie die
Wiener214) Zeitungen erst am 1. August. Zuvor zirkulierten zwar mehrere und oft
widersprüchliche Angaben hinsichtlich einer etwaigen Mobilisierung Russlands
in der Grazer Presse. Keine dieser Mitteilungen wurde indes von offizieller Seite
je bestätigt oder dementiert, sodass die Grazer Bevölkerung im Ungewissen über
Russlands Militäraktionen blieb. Den betreffenden Zeitungsberichten lagen Ge-
rüchte, diverse Stellungnahmen in anderen Zeitungen sowie (inoffizielle) anonyme
Aussagen aus Diplomatenkreisen zugrunde. Welchem Artikel oder welcher Korre-
spondenznachricht man hier als Zeitgenosse noch trauen und vertrauen konnte,
ist fraglich. Aber es kann angenommen werden, dass man über alle diese in den
Zeitungen (und Extraausgaben) zirkulierenden Aussagen und Szenarien in den
Gast- und Kaffeehäusern diskutierte und spekulierte. Manchmal schrieben die
Grazer Zeitungen (noch bevor Russland tatsächlich seine Teilmobilisierung ein-
leitete215), dass Russland seine Grenzkorps mobilisiere.216 Ab und zu stellten die
Zeitungen auch (nach dem 30.
Juli) fest, dass Russland noch keine allgemeine Mo-
bilisierung befohlen hätte. Ebenso ging in diesen Tagen in Graz das Gerücht um,
dass der Zar tot sei. Gelegentlich erhofften sich die Redaktionen auch von den
deutschen Ultimaten an Frankreich und Russland (31.
Juli) eine Klärung der Sach-
lage. Das Ultimatum an Russland würde beispielsweise der Frage nachgehen, „ob
es wahr sei, daß [russische] Rüstungen stattfinden [würden] und was diese Rüs-
213 Allgemeine Mobilisierung in Oesterreich und Russland, in: Grazer Volksblatt, 1.8.1914, 1; Die
Kriegsrüstungen Rußlands, in: Grazer Tagblatt, 1.8.1914, 1; Allgemeine Mobilisierung in Ruß-
land, in: Arbeiterwille, 1.8.1914, 1.
214 Die allgemeine Mobilisierung Rußlands und Oesterreich-Ungarns, in: Neue Freie Presse,
1.8.1914, 3; Die Schicksalsfrage der europäischen Menschheit, in: Arbeiter-Zeitung, 1.8.1914, 1.
215 Die russische Teilmobilisierung erfolgte am 29. Juli 1914.
216 Vgl. z. B. Rußland mobilisiert seine Grenzkorps, in: Arbeiterwille, 28.7.1914, 1; Rußland mobili-
siert!, in: Grazer Volksblatt, 28.7.1914, 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453