Seite - 154 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof154
man sich fast täglich gegenseitig etwas vorwarf, dass das soziale Gefüge innerhalb
der Stadt ins Wanken geriet.
Unklare Mobilisierungsplakate
Am Morgen des 26. Juli, eines verregneten Sonntags, wurden anscheinend die Er-
leichterung und der Jubel des Vortags von einer „Stimmung ernster Geschäftig-
keit“ infolge der Mobilisierungsplakate beiseitegeschoben.84 Das radikal deutsch-
nationale Tagblatt, dass von einer „eigenartige[n] Stimmung“ an diesem Sonntag
sprach, hielt ebenso fest, dass die Mobilisierung und einige Gerüchte85 „den aus-
schließlichen Gesprächsstoff“ bildeten.86 Laut Arbeiterwille wurden die sowohl
von Männern als auch von Frauen studierten Plakate gegen 8
Uhr morgens, zuerst
am Rathaus, dann im städtischen Amtshaus87, dann vor den Wachstuben und spä-
ter überall in der Stadt aufgehängt.88 Die in der deutschnationalen Tagespost kol-
portierte Erleichterung, dass nun „das nervenzerstörende, das unerträgliche
Warten“89 zu Ende sei, hielt wahrscheinlich nicht lange an, zumal in diesen Tagen
jede Klarstellung auf die eine oder andere Weise wieder neue Fragen und Probleme
mit sich führte. Am Ende pendelten die Zeitungsartikel stets zwischen Erleichte-
rung und Erregung. Sprach die Tagespost, wie oben vermerkt, einen Tag nach dem
Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Serbien von Erleichterung, war man
laut ihr am nächsten Tag wieder „in fieberhafter Erregung“.90 Dem Arbeiterwillen
zufolge wurde der Grazer Bevölkerung beim Lesen „der Bestimmungen für die
Reservisten und besonders für den Landsturm [...] der Ernst der kritischen Situa-
tion immer klarer.“91 Hier tritt deutlich seine strikte Ablehnung des möglicher-
Glückwunsch zum 66. Regierungs-Jubiläums unseres Kaisers, in: Grazer Mittags-Zeitung,
3.12.1914, 1; Sonderausgaben, in: Grazer Mittags-Zeitung, 5.8.1915, 2.
84 Der gestrige Tag, in: Grazer Montags-Zeitung, 27.7.1914, [ohne Seitenangabe].
85 Belgrad (Beograd) wurde angeblich von den Serben angezündet. Der Zar sei tot.
86 Der Sonntag, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914, 4.
87 Der Raummangel des Grazer Rathauses führte 1902 zum Bau des (zweiten) städtischen Amts-
hauses. Das städtische Amtshaus befand sich seit 1904 an der Ecke Neutorgasse/Schmiedgasse
und beherbergte u. a. die städtische Sicherheitswache, das Gewerbeamt, das Marktamt, das
Stadtphysikat, das Stadtschulamt sowie das Steueramt. Vgl. u. a. den Lexikonartikel „Städtisches
Amtshaus“ in: Reismann/Mittermüller (2003), 458.
88 Gedränge bei den Aufgebotskundmachungen, in: Arbeiterwille, 27.7.1914, 3.
89 Krieg!, in: Tagespost, 26.7.1914, 1.
90 Lokalisierungs-Bestrebungen, in: Tagespost, 27.7.1914, 1.
91 Gedränge bei den Aufgebotskundmachungen, in: Arbeiterwille, 27.7.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453