Seite - 431 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Einheitsgruppen | 431
Diese Zahl kann nur dahingehend aufgebrochen werden, dass man forschungs-
pragmatisch größere Gruppen – sogenannte Einheitsgruppen – bildet. Dabei fällt
schnell auf, dass für die „Sollwerte“ des Burgfriedens nicht nur Einheimische und
nach Graz Kommende29 (direkt oder indirekt) verantwortlich waren, sondern auch
andere Menschen und Institutionen. Diese einzelnen Einheitsgruppen können nun
je nach Gesichtspunkt weiter unterteilt werden. Sinnvoll wäre es meines Erachtens,
wenn man zwischen formellen und informellen Einheitsgruppen unterscheidet.
Einheitsgruppen
Zu den formellen Normgebern und Normgeberinnen sind alle jene Menschen und
Institutionen zu zählen, die kraft ihres Amts Erlässe bzw. Verordnungen in die
Wege leiten und exekutieren konnten (Mobilisierung, Präventivzensur, Ausweis-
pflicht, Aufhebung des Versammlungs- und Vereinsrechts, Jagdverbot, Maximal-
tarife und so weiter). Ins Auge stechen hierbei der Kaiser, die Regierung, die Mi-
nisterien und die Behörden.30
Unter den informellen Einheitsgruppen verstehe ich weitgehend jene Menschen
und Institutionen, die – zugespitzt gesagt – aus der Mitte der Gesellschaft stamm-
ten. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die graduell militarisierte Zivil-
bevölkerung und ihre Zeitungen, Konfessionen, Vereine und vieles mehr. Genauer
unter die Lupe wurden in dieser Arbeit die Grazer Zeitungen und Zeitschriften
genommen. Unter ihnen sticht vor allem der sozialdemokratische Arbeiterwille
als „Wächter der Einheit“ hervor, da er seit August mit Argusaugen fortwährend
das Grazer Alltagsleben disziplinierend observierte. Keine andere Zeitung oder
Zeitschrift definierte in einem dermaßen hohen Umfang, was gemäß ihren Vor-
stellungen „erlaubt“ und nicht „erlaubt“ war. Aber auch die anderen Redaktionen
schufen Gebote und Verbote31, die in vielerlei Hinsicht der Parteilinie sowie den
(alten) Gesetzen des Staats und den (neuen) Verordnungen der Regierung folgten.
Zu den informellen (sprichwörtlich „ungeschriebenen“) Regelungen zählten bei-
spielsweise die „Sprachbereinigung“ und der Modeboykott.
Zusammen schufen diese formellen und informellen Einheitsgruppen ein (po-
lykratisches) „Ensemble“ von formellen Rechtsnormen und informellen Ge- und
29 Ich denke hier vor allem an die Soldaten, die Kriegsgefangenen, die Zivilinternierten und die
Flüchtlinge.
30 Es gab keine (parlamentarische) Legislative.
31 Verbot (Unterlassungspflicht), Gebot (Handlungspflicht).
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453