Seite - 166 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof166
Grazer „Feldlager“
Der 27. Juli stand im Zeichen der Teilmobilmachung Österreich-Ungarns. Seit
dem Vortag hingen die Plakate und nun rückte man gemäß dem „Kriegsfall Bal-
kan“ ein. Auch in der Steiermark folgte man dem Einberufungsbefehl. Die Präsidi-
umsakten der Statthalterei liefern hierfür unverkennbar die Belege, da jeder in die
Grazer Burg eingelangte Bericht151 die „Pflichterfüllung“ weiter Bevölkerungsteile
akzentuierte. Einhergehend mit der weitgehend reibungsarm verlaufenden Mo-
bilisierung bildete sich in der Grazer Presse zunehmend der Topos eines Grazer
„Feldlagers“152 heraus. Diese mehrfach in den Zeitungen zur Sprache kommende
Redewendung rekurrierte unverkennbar auf die seit Jahrzehnten beständige Vor-
stellung von Graz als „Garnisonsstadt“.153 Graz unterschied sich diesbezüglich
nicht von anderen Städten mit dieser Zuschreibung, zumal auch andere „Garni-
sonsstädte“ zu Kriegsbeginn als „Feldlager“, „Heerlager“ oder „Kriegslager“ be-
zeichnet wurden (so z.
B. Freiburg im Breisgau154). Den Grundstein für diese Deu-
tung legten die „ohne jede Unterbrechung“155 in Graz ankommenden Soldaten,
von denen viele in den ersten Tagen der Mobilisierung keine Unterkunft fanden. So
„durchwanderten“ beispielsweise in der Nacht vom 27. auf den 28.
Juli „[h]underte
von Reservisten [...] bei strömendem Regen die Straßen der Stadt, weil sie nicht
wußten, wohin sie sich um Quartier wenden sollten.“156 Dem Tagblatt zufolge ließ
daher „die Organisation der Quartierzuweisung zu wünschen übrig.“157 Diese Ein-
schätzung teilten auch die anderen Blätter. Das Volksblatt schlug vor, dass man gar
den „leerstehende[n] Gemeinderatssaal“ oder die Industriehalle als Unterkünfte
heranziehen möge, sodass die Soldaten nicht mehr „in den Straßen der Stadt he-
rumirren“ müssten.158 Sieht man von der Spitze gegen die Auflösung des Gemein-
derats ab, sprach die Zeitung nichtsdestotrotz ein Problem an, das es schnell zu
beheben galt. Ebenso waren sich, wie erwähnt, hunderte Grazer hinsichtlich ihrer
eigenen Einberufung im Zweifel, weswegen sie das Amtshaus konsultierten. Das
Einrücken geschah daher letztendlich „zum wenigsten in einer geordneten Ab-
151 Von den Militärbehörden, der Polizei-Direktion Graz oder den Bezirkshauptmannschaften.
152 Bilder von [sic] Tage, in: Grazer Volksblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 3. Vgl. parallel: Bilder
vom Tage, in: Kleine Zeitung, 1.8.1914, 2.
153 Siehe das Kapitel: Vier Leitpanoramen.
154 Geinitz (1998), 144.
155 Das Stimmungsbild in Graz, in: Grazer Volksblatt, 27.7.1914 (Abendausgabe), 1. Vgl. parallel:
Begeisterte Stimmung in Graz, in: Kleine Zeitung, 28.7.1914, 6.
156 Mangelhafte Bequartierung der Einrückenden, in: Grazer Tagblatt, 28.7.1914 (Abendausgabe), 4.
157 Ebd.
158 Zur Bequartierung der Reservisten, in: Grazer Volksblatt, 28.7.1914 (Abendausgabe), 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453