Seite - 135 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 135 -
Text der Seite - 135 -
Innenstadt und Bahnhof
Kein Telefonnetz
Am Samstag den 25. Juli warteten in den Grazer Kaffeehäusern viele Menschen
seit den Nachmittagsstunden in „große[r] Spannung“ und mit „wachsender
Aufregung“1 auf die serbische Antwort auf das Ultimatum.2 Das „Zeitalter des ner-
vösen Abwartens“3 präsentierte sich an diesem Tag sinnbildlich in seiner reinsten
Form. Wer sich anfänglich unter den Wartenden befand, geht aus der Grazer Presse
nicht hervor, sodass lediglich diejenigen Personen dafür in Betracht gezogen wer-
den können, die sich Zeit zum Warten nehmen konnten. Zwischen dem Warten
wurden Personen, denen man einen Wissensvorsprung bezüglich der politischen
Großwetterlage addizierte, „stürmisch befragt.“4 In erster Linie handelte es sich
hierbei um Offiziere, Journalisten, Politiker und Beamte, die in diesen Tagen regel-
mäßig in den Gast- und Kaffeehäusern oder auf offener Straße angesprochen wur-
den. Zeitgleich riefen mehrere Leute in der Hoffnung auf Neues „ununterbrochen“5
bei den Postämtern oder bei den Zeitungsredaktionen an, was zu einer starken
Belastung des Telefonnetzes führte.6 Während man den Gang auf die Straße oder
1 Die Aufnahme der Kriegsnachricht in der Stadt, in: Grazer Tagblatt, 26.7.1914, 32.
2 Am 25. Juli 1914 kam es in nahezu allen größeren Städten Deutschlands zu Menschenansamm-
lungen, die größtenteils unter tausend Personen blieben, vgl. Verhey (2000), 65–69.
3 Begriff nach Philipp Blom (22011), 471.
4 Die Aufnahme der Kriegsnachricht in der Stadt, in: Grazer Tagblatt, 26.7.1914, 32.
5 Ebd.
6 Starke Belastung des Fernsprech- und Telegraphenamtes, in: Grazer Tagblatt, 26.7.1914, 5. Eine
kurze Bemerkung zur geringfügigen Diskrepanz zwischen ANNO und den Zeitungs-Mikrofil-
men der Mediathek der Universitätsbibliothek Graz: Nur in dieser Fußnote wurde auf die Mikro-
film-Ausgabe des Grazer Tagblatts verwiesen, die in der Mediathek Graz im RESOWI-Zentrum
einsehbar ist. Wenngleich die „Grazer“ und die „Wiener“ (sprich die nach Wien geschickte)
Ausgabe des Tagblatts das gleiche Datum (26. Juli) und die gleiche Nummer (Morgenausgabe,
Nr. 187) führen, so beinhalten sie teilweise andere Artikel (vgl. allein die Titelseite). Ansonsten
kamen mir weitere, aber keine gravierenden Unterschiede zwischen den nach Wien geschickten
und den in Graz verkauften Ausgaben unter. Geringfügige Diskrepanzen zwischen den „Wie-
ner“ ANNO-Ausgaben und den (lokalen) „Grazer“ Mikrofilm-Ausgaben lassen sich auch bei
den anderen Grazer Tageszeitungen nachweisen. Die Abweichungen fallen weitgehend in die
letzte Juli- und erste Augustwoche. Es kann angenommen werden, dass einige (oder viele) dieser
Diskrepanzen das Produkt einer (partiellen) Zensurumgehung sind. Von „ununterbrochen“ klin-
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453