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Mietzins | 299
Mietzins
Der Krieg verschärfte von Beginn an die ohnehin angespannte Lage zwischen den
Vermietern und den Hausparteien.277 Es zeigt sich daher auch an der vielschich-
tigen Mietzinsfrage, dass der Krieg nicht alle gesellschaftlichen Konflikte unter-
band. An der Mietzinsfrage lassen sich nämlich Ängste und Erschwernisse sowie
Unzufriedenheit und Unmut auf beiden Seiten der Wohnungstür ablesen. Die
Frage nach dem „richtigen“ Umgang des Vermieters mit den Hausparteien wurde
hauptsächlich vom Arbeiterwillen gestellt und seine Berichterstattung führte
auch in diesem Punkt den Vorwurf des einheimischen „Kriegsgewinnlers“, „Pro-
fitpatrioten“, „Zinsgeiers“ oder der lokalen „Hyäne“ ins Feld. Sein Spektrum der
„Scheinpatrioten“ umfasste somit neben mehreren Greißlern/Krämern, Marktver-
käuferinnen, Zwischenhändlern, Bäckern, Müllern, Großhändlern, Arbeitgebern
und anderen Berufsfeldern auch mehrere Grazer Vermieter. Diese zum Teil als
„Hausherrenhyänen“278 bezeichneten Vermieter gingen aus Sicht des Arbeiterwil-
lens „kaltherzig“ und rücksichtslos mit den Mietparteien (meistens handelte es
sich um Frauen) um. Mehrfach hieß es im Arbeiterwillen, dass die Vermieter den
Mietzins erhöhten, die Miete „hartherzig“ einforderten, Kautionen nicht auszahl-
ten, mit der Delogierung drohten oder dass sie gar der Mieterin die Wohnung
grundlos kündigten. Als wäre die Wohnsituation nicht ohnehin schon angespannt
genug, verschärfte sie sich „durch“ die Ankunft der Flüchtlinge. Flüchtlinge wur-
den bekanntermaßen nicht nur in Flüchtlingslagern, sondern auch in leerstehen-
den Grazer Wohnungen untergebracht.279 Dies nährte den Unmut weiter Teile der
Grazer Bevölkerung, zumal sie sich von den für die lokale Wohnungspolitik ver-
antwortlichen Stellen benachteiligt fühlten. Der Arbeiterwille kritisierte hingegen
primär die Haus- und Realitätenbesitzer:
„Man kann jetzt beobachten, was für eine hübsche Auffassung gewisse Leute von der
praktischen Übung patriotischer Pflichten haben. Während ungezählte Tausende Prole-
tarier auf den ersten Ruf zu den Waffen eilen, Weib und Kind vielfach in Not zurücklas-
send, um ihre Pflicht zu erfüllen, haben die verschiedenen Lebensmittelwucherer und
Zinsgeier keine andere Sorge, als den Parteien, die jetzt, nachdem ihre Ernährer einge-
rückt sind, die Miete nicht bezahlen, mit dem Hinauswurf aus der Wohnung zu drohen
277 Im Frühjahr 1917 kam es dann zu den „Mieterschutzverordnungen“, vgl. RGBl. Nr. 34/1917;
RGBl. Nr. 36/1917. Erste kompakte Überlegungen hinsichtlich der Mietzinsfrage (Mieterschutz-
frage usw.) in: Grandner (1992), 257–264; Hautmann (1987), 81–83.
278 Hausherrenhyänen, in: Arbeiterwille, 23.8.1914, 5.
279 Die galizischen Flüchtlinge, in: Arbeiterwille, 26.9.1914, 3.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453