Seite - 65 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 65 -
Text der Seite - 65 -
Argumentationsstrang | 65
und Kriegswochen frei von Desillusionierungen waren. Auch in Graz begann der
vielschichtige Prozess der Desillusionierung vom ersten Kriegstag an.253
Argumentationsstrang
Die Verschriftlichung dieser Mikrohistorie erwies sich als schwierig. Der Grund
hierfür lag darin, dass Mikrohistorien bewusst dazu neigen, unterschiedliche
Ereignisse und Prozesse innerhalb eines kurzen Zeitraums in Beziehung zu set-
zen. Auch für mich stellte sich die Frage, wie ich die unzähligen Verbindungen
zwischen den Alltagsmomenten textkompositorisch gestalten sollte. Am Ende
wurde daraus eine Geschichte, die zwischen chronologischen und thematischen
Gesichtspunkten hin und her pendelt. Der erste Teil analysiert weitgehend den
Grazer Alltag in der Zeit zwischen dem Attentat von Sarajevo (28. Juni) und dem
Ultimatum an Serbien (23. Juli). Im Vordergrund steht hierbei der gesellschaftliche
Nährboden für die Stärken und Grenzen der späteren und vielseitigen Einheitsbil-
dung (Burgfrieden). Nachgegangen wurde hier den seit Langem bestehenden oder
durch den Anschlag in Sarajevo entstandenen Bindungen und Brüchen zwischen
den einzelnen Milieus und Parteien. Eingeleitet wird dieser erste Teil aber nicht
mit dem Sarajevoer Attentat, sondern mit einem Rekurs auf die Art und Weise, wie
die Grazer Tageszeitungen über die sogenannten Balkankriege (1912/13) schrie-
ben. Dieser Schritt soll zeigen, dass der Begriff „Begeisterung“ zur damaligen Zeit
mehr Implikationen nach sich zog als heute. Der zweite Teil beleuchtet die Gra-
zer Innenstadt sowie die Bahnhofsvorgänge ab dem Abbruch der diplomatischen
Beziehungen zu Serbien (25. Juli). Im Zentrum stehen hier die Plakatlektüre, die
„patriotischen“ Straßenumzüge, die militärischen Musikkapellenumzüge, der Ein-
und Auszug der Soldaten sowie die neuen Vorgänge am Bahnhof. Die hier darge-
legten Alltagsmomente stellen sowohl Reaktionen auf die sich überschlagenden
Nachrichten aus dem In- und Ausland als auch auf lokale Erfahrungsräume dar.
Dabei zeigte sich, dass es auf die Frage, wie man in den Krieg ziehen soll bzw. wie
man sich im Krieg zu verhalten habe, unterschiedliche normative Antworten gab.
Dies führte – in einer Zeit, zu der die Lebenschancen an der Grazer „Heimatfront“
noch nicht zu bloßen Überlebenschancen mutiert waren – zur Intensivierung di-
verser gesellschaftlicher Brüche und neuer Ausdrucksformen gruppenübergrei-
fender Verbundenheit. Der dritte Teil ist weniger chronologisch, sondern mehr
thematisch strukturiert. Er beschäftigt sich mit weiteren Reaktionen der Grazer
253 Vgl. dazu: Überegger (2014) und (2007).
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453