Seite - 194 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof194
tember die „heldenmütigen“306 Soldaten des 2. bosn.-herzeg. Infanterieregiments
vielfach neben denen der anderen (Grazer) Regimenter standen, hinfällig. Das
spiegelte sich nicht nur in den klerikal-konservativen Zeitungen oder im Arbei-
terwillen wider, sondern auch im radikal deutschnationalen Tagblatt. Dieses Blatt,
das im Kriegsjahr 1914 ununterbrochen den Nationalitätenkonflikt an der „Hei-
matfront“ führte, berichtete seit September ausnahmslos positiv über „die wacke-
ren Musiker“307 des 2. bosn.-herzeg. Infanterieregiments. Im Grunde genommen
betörte und störte das Tagblatt den Burgfrieden zugleich. Von den in den Krieg
ziehenden Krankenschwestern, die hauptsächlich aus dem Adel und dem Bürger-
tum kamen, war damals noch nicht viel die Rede. In den Zeitungen finden sich
zwar einige Kursangebote und Appelle zur freiwilligen Krankenpflege in Grazer
Spitälern, aber dass Frauen an der Front arbeiten würden, bemerkten die Redakti-
onen nicht. Erst die vom Chirurgen Arnold Wittek (1871–1956) angeführte Sani-
tätsabteilung schaffte den Sprung in die Zeitungen.308
Abschiedsszenen
Der Bahnhof blieb einer der wenigen schnellen und lauten Orte der Stadt Graz.
Diese vielfach wahrgenommene Rastlosigkeit, die viele Menschen nicht zur Ruhe
kommen ließ, war Teil eines sich formierenden Grazer „Feldlagers“. Laufend ka-
men einzelne Soldaten am Bahnhof an, weil sie sich in Graz zu melden hatten.
Desgleichen fuhren ganze Truppenkörper mit Zügen ein. Nicht selten hieß es dies-
bezüglich in den bürgerlichen Zeitungen, dass sie von vielen Menschen begrüßt
wurden. Am Ende herrschten „ein fast undurchdringliches Gedränge“309 und „eine
306 Der Kommandant des 2. bh. Infanterie-Regiments verwundet, in: Grazer Volksblatt, 5.9.1914
(12-Uhr-Ausgabe), 3.
307 Die Musikkapelle des 2. bosnisch-herzegowinischen Infanterie-Regiments, in: Grazer Tagblatt,
8.10.1914 (2. Morgenausgabe), 3. Zwei weitere Beispiele: Mit den Bosniern im Felde, in: Grazer
Tagblatt, 6.9.1914, 4; Wie sich unsere Bosnier schlagen, in: Grazer Tagblatt, 24.9.1914 (2. Mor-
genausgabe), 11.
308 Wittek zog im September mit einer weitgehend aus Frauen bestehenden Sanitätsabteilung des
Roten Kreuzes nach Kaschau (Košice), wo er das Rot-Kreuz-Spital leitete. Gegen Ende November
1914 kam er wieder zurück, weil er sich bei einer Operation infiziert hatte und sich in Graz be-
handeln ließ. Zu den Quellen: Freiwillige Sanitätsabteilung Graz, in: Grazer Tagblatt 16.10.1914
(2. Morgenausgabe), 16; Professor Dr. Arnold Wittek in Graz, in: Grazer Tagblatt, 21.11.1914
(Abendausgabe), 2. Abseits der Zeitungen vgl. Hammer-Luza (2014), 178. Zu den Kranken-
schwestern siehe insbesondere: Hämmerle (2014); Riesenberger (22003).
309 Im Hauptbahnhofe, in: Grazer Tagblatt, 27.7.1914, 4.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453