Seite - 52 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Rahmenbedingungen52
„Panikstörung“ werden heutzutage in den medizinischen und psychologischen
Fächern kontrovers diskutiert. Die hier herangezogenen Quellen benötigen weder
im theoretischen Sinne noch im thematischen (d. h. in einem den historischen
Situationsumständen entsprechenden) Sinne einen analytischen Rückgriff auf eine
der im Umlauf befindlichen Definitionen. Von meinem geschichtswissenschaft-
lichen Standpunkt ausgesehen können nämlich der Begriff „Hysterie“ sowie wie
die ebenfalls problematischen Begriffe „Panik“, „Psychose“, „Ekstase“, „Furor“ und
„Manie“ mittels adäquater Situationsbeschreibungen ersetzt bzw. umgangen wer-
den.176 Abschließend sei noch einmal betont, dass der oftmals für die Kriegsbegeis-
terung synonym verwendete Begriff „Augusterlebnis“ hier nicht als analytischer
Ausgangs- oder Fluchtpunkt fungiert.
Vier Leitpanoramen
Trotz der prinzipiellen Offenheit bezüglich der – entlang zweier Fragenbereiche
– zu erforschenden sozialen Kohäsion auf den Grazer Straßen zu Kriegsbeginn
standen während der Analyse vier Leitpanoramen ständig im Hintergrund. Diese
konzeptionellen Vorentscheidungen straffen den mikrohistorischen Blick, indem
sie den sich über Tage erstreckenden Ausbruch des (Ersten) Weltkriegs mithilfe
von vier gesellschaftlichen Prozessverläufen strukturieren.177 Mein erstes Leitpa-
norama bietet eine statistisch-administrative Skizze von Graz um 1900. Das zweite
Leitpanorama verweist auf den im Krieg erfolgten Transformationsprozess von ei-
ner graduell militarisierten Friedensgesellschaft hin zu einer Gesellschaft im Krieg.
Mein drittes Leitpanorama skizziert kurz das Verhältnis zwischen der „Heimat-
front“ und der Front und im vierten Panorama wird kurz auf die vorkriegszeitliche
Auffassung vom „Krieg als Ereignis“ eingegangen.
Psychoanalytiker Stavros Mentzos (1930–2015) zurück, der seit den 1980er Jahren die „Hysterie“
als Krankheitsentität ablehnte, jedoch weiterhin für die Analyse eines „spezifischen hysterischen
Modus der neurotischen Konfliktverarbeitung“ plädierte. Vgl. Mentzos (82004), 17.
176 Vgl. diesbezüglich auch den Aufsatz „Von der Geschwätzigkeit der Worte“ von: Kühberger (2010).
Der Text thematisiert ein ganzes „Ensemble“ von – wie auch immer – grundierten Begriffen (z.
B.
„Ermordung“, „Verräter“, „Patriotismus“, „Barbarei“, „Held“).
177 Hilfreich erwies sich hierbei das Buch „Das imperiale Zeitalter. 1875–1914“ von Eric J. Hobs-
bawm, siehe Literaturverzeichnis. Eine weitere Hilfe waren mir die Bücher von Philipp Blom. Er
schildert in seinen Büchern „Der taumelnde Kontinent. Europa 1900–1914“ und „Die zerrisse-
nen Jahre. 1918–1933“ sehr eindringlich das Leben vor und nach dem Krieg, vgl. Blom (22011)
und (2016). Seine Darstellung des „Augusterlebnisses“ in: Blom (2016), 17 f.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453