Seite - 69 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Sarajevoer Attentat und Graz
Vom „Balkanbrand“ 1912/13
Es wurde angekündigt, dass die Mikrohistorie über den Grazer Alltag zu Kriegsbe-
ginn 1914 nicht mit dem 28. Juni 1914 beginnt, sondern mit einem Rekurs auf die
sogenannten Balkankriege von 1912/13 startet.1 Der Entschluss hierfür ist einer
Einschätzung geschuldet, die sich erst im Laufe des Quellenstudiums ergab. Es
zeigte sich deutlich, dass die Art und Weise, wie die Grazer Tageszeitungen im Juli
1914 schrieben, gemeinhin den rhetorischen Figuren, die sie zu Ausbruch des Ers-
ten Balkankriegs im Oktober 1912 heranzogen, gleichen. Im Folgenden wird aus
meiner Sicht kein unangebrachter Eins-zu-eins-Vergleich zwischen dem Ersten
Weltkrieg und den Balkankriegen provoziert.2 Es soll lediglich darauf hingewie-
sen werden, dass die lokalen Zeitungsredaktionen auf den Krieg im „Süden“ einige
rhetorische Figuren der (späteren) Juli-Berichterstattung des Jahrs 1914 vorweg-
nahmen. Die „Balkanwirren“ der Jahre 1912/13 nahmen nicht nur einige Sprach-
bilder vorweg. Aufgrund der weit verbreiteten und vielfach unbegründeten Angst
vor allem „Slawischen“ verschlechterte sich auch das gesellschaftliche Zusammen-
leben innerhalb der Steiermark.3 Denn die Überwachung der als „fünfte Kolonne
Belgrads“ im eigenen Kronland Steiermark verdächtigten „Slowenen“ wurde seit
1912 intensiviert, das Feindbild namens „Slawe“ und somit des „Slowenen“ und
der „Slowenin“ geschärft. Die Grazer Tageszeitungen befanden sich im Oktober
1912 mitten im Wahlkampf zum Grazer Gemeinderat. Der Wahlausgang verän-
derte zwar nicht maßgeblich die politische Zusammensetzung der einzelnen Ku-
rien, aber neuer Bürgermeister wurde der deutschnationale Robert Fleischhacker
(der dieses Amt von November 1912 bis Mitte Juni 1914 bekleidete).4 Die von
1 Zur Geschichte der Balkankriege siehe insbesondere: Boeckh (1996), des Weiteren: Yavuz/Blumi
(2013). Zur überregionalen Einbettung dieser Kriege siehe die ausgewogenen Studien von: Kro-
nenbitter (2003a); Kießling (2002). Vgl. des Weiteren jene beiden von der ÖAW herausgege-
benen Sammelbände, die die Balkankriege entlang der österreichisch-ungarischen Diplomatie
skizzieren: Wandruska/Urbanitsch (1989) und (1993).
2 Die Situation war 1914 eine ganz andere. Eine Bilanz über das Kriegsjahr 1914 in: Leonhard
(2014), 250–264.
3 Zu den Folgen der Balkankriege für die Steiermark vgl. Moll (2007a), 136–171.
4 Von Ende April bis Anfang November 1912 wurde Graz von dem k. k. Regierungskommissär
Anton Underrain von Meysing regiert. Der Grazer Gemeinderat war zu dieser Zeit aufgelöst.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453