Seite - 439 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Einheitsprüfungen | 439
Einheitsprüfungen
Die Grazer Zeitungen waren voll von Grazer Feindbildern. Dass es sich nun tat-
sächlich um „Feinde“ in der eigenen Stadt handelte, kann größtenteils widerlegt
werden. Für die zeitgenössische Wahrnehmung handelte es sich bei diesen „Fein-
den“ jedoch um Personen, die sich gegen die „Einheit“ und den Kriegseinsatz stell-
ten und so die „Kampfmoral“ untergruben. Ein derartig „unpatriotisches“ oder
„subversives“ Verhalten verunsicherte, verärgerte und ängstigte die Grazerinnen
und Grazer. Die unzähligen daraus entstehenden Konflikte bildeten nicht nur
den Nährboden für größere gesellschaftliche Konflikte, sondern sie traten auch
nicht hinter den einen großen Konflikt (sprich den Krieg, den man gegen Ser-
bien, Russland, Großbritannien und Frankreich führte) zurück. Sie waren und
blieben ein fixer Bestandteil des Grazer Alltags, der infolgedessen an „Ordnung“
und „Sicherheit“ verlor. Dieser Verlust musste – so der damalige Konsens – wett-
gemacht werden. Er musste deswegen wettgemacht werden, weil eine „geordnete“
und „sichere“ Stadt Graz den Aufbau einer starken, effizienten „Heimatfront“ erst
ermögliche. Dass man so dachte, ist verständlich. Und gerade weil man die Sache
für so wichtig erachtete, gingen die Meinungen und Vorstellungen über den erst
zu zeichnenden und aufgrund des Zeitdrucks gleichzeitig zu realisierenden „Bau-
plan“ für den Burgfrieden auseinander.
Grundsätzlich glaubte niemand der Grazer und Grazerinnen, dass die bishe-
rigen Einheitsarbeiten ausreichen würden, um die Front optimal unterstützen zu
können. Die wenigen Leitartikel, die von einer starken „Heimat“ sprachen, sind
nichts verglichen mit der Anzahl von Artikel, in denen man lokale Missstände
anprangerte oder sich gegenseitig beschuldigte: Behindert keine Ärzte! Bewahrt
Ruhe! Hebt kein Geld ab! Hört auf mit den Hamsterkäufen! Schreibt keine lan-
gen Briefe! Schickt kein Geld an die Front! Schickt keine Streichhölzer mit! Trinkt
keinen Alkohol! Vorsicht vor Geschlechtskrankheiten! Weg mit der Pariser Mode!
All diese Warnungen, Beschuldigungen, Motivierungen/Animierungen wurden
in den verschiedenen Rubriken der hinteren Seiten breit und mehrfach themati-
siert. Sie sind sozusagen ein mannigfaltiger Beleg dafür, wie massiv man sich für
die Errichtung der „Heimatfront“ einsetzte. Der Krieg wurde als sehr ernste und
schwierige Sache wahrgenommen, was schlagartig eine verstärkte Wahrnehmung
von jedwedem „Fehlverhalten“ evozierte. Was sonst. Am Ende sahen sich daher
viele in Graz von verschiedenen Seiten in Frage gestellt oder stellten selber andere
in Frage:
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453