Seite - 212 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof212
Ein „Denkmalfrevel“
Rund um die Kaiserfeiern kam es zur „Besudelung“ des Robert-Hamerling-Denk-
mals im Grazer Stadtpark. Robert Hamerling (1830–1889) war ein viel gelesener
Schriftsteller aus Österreich und ein Gründungsmitglied des radikal deutschna-
tionalen Deutschen Schulvereins. 1904 enthüllte die Stadt Graz sein Denkmal –
eine Marmorsitzfigur auf einem Sockel – im Stadtpark. Das Denkmal wurde in
der Nacht auf den 20. August 1914 „mit vielen hundert Tintenflecken befleckt,
namentlich die Hände und der untere Teil der sitzenden Dichterfigur.“396 Laut
Volksblatt handelte es sich hierbei um die zweite „Besudelung“ nach dessen Er-
richtung 1904.397 Aufgefallen war die Beschmutzung einem Passanten, der dies
sofort einem dem Stadtpark nahegelegenen Wachposten meldete.398 Bei den ers-
ten Nachforschungen kam lediglich heraus, dass der nächtliche Stadtparkwächter
nichts bemerkte. Im Laufe des Tages kamen dem Tagblatt zufolge „viele“ Men-
schen, um sich die Ausmaße dieses „bübische[n] Anschlag[s]“ anzusehen.399 Kon-
krete Anhaltspunkte hinsichtlich der Täterschaft gab es keine. Die Presse ging
von einem (männlichen) Einzeltäter aus. Regierungskommissär Anton Underrain
von Meysing stellte eine Belohnung von 100 Kronen für sachdienliche Hinweise
in Aussicht. Die Ermittlungen blieben jedoch erfolglos: „Von dem erbärmlichen
Schurken, der die Tat verübte, hat man noch keine Spur.“400 Die Bitte einer anony-
men Stimme aus dem Publikum an den Universitätsrektor, er möge das Denkmal
während des Kriegs von Studierenden bewachen lassen, blieb ebenso ungehört.401
Mit der Reinigung des Denkmals beauftragte das Stadtbauamt die Hofsteinmetz-
firma Grein. Diese versuchte mit mäßigem Erfolg die Tintenflecke mit Kleesalz
396 Eine erbärmliche Besudelung des Hamerling-Denkmals im Stadtpark, in: Grazer Tagblatt,
20.8.1914 (Abendausgabe), 3.
397 Das Robert Hamerling-Denkmal besudelt, in: Grazer Volksblatt, 20.8.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 7.
Wann genau die erste „Besudelung“ gewesen soll, konnte ich nicht ermitteln.
398 Die Darstellung des „Denkmalfrevels“ stützt sich – wenn nicht anders angegeben – auf folgende
Artikel: Eine erbärmliche Besudelung des Hamerling-Denkmals im Stadtpark, in: Grazer Tag-
blatt, 20.8.1914 (Abendausgabe), 3; Die Besudelung des Hamerling-Denkmals, in: Grazer Tag-
blatt, 21.8.1914, 4; Zur Besudelung des Hamerling-Denkmals, in: Grazer Tagblatt, 21.8.1914
(Abendausgabe), 2; Zur Besudelung des Hamerling-Denkmals, in: Grazer Tagblatt, 22.8.1914, 11;
Zum jüngsten Denkmalfrevel, in: Grazer Tagblatt, 24.8.1914 (Abendausgabe), 3; Die Reinigung
des Hamerling-Denkmals, in: Grazer Tagblatt, 5.9.1914 (Abendausgabe), 2.
399 Eine erbärmliche Besudelung des Hamerling-Denkmals im Stadtpark, in: Grazer Tagblatt,
20.8.1914 (Abendausgabe), 3.
400 Die Besudelung des Hamerling-Denkmals, in: Grazer Tagblatt, 21.8.1914, 4.
401 Denkmalsbewachung, in: Grazer Montags-Zeitung, 24.8.1914, [ohne Seitenangabe].
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453