Seite - 323 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Infiltrierendes „Spinnennetz“ | 323
beigesetzt werden dürfe.388 Die „Kameraden“, der Veteranenverein und nicht zu-
letzt die Angehörigen des Verstorbenen mussten letzten Endes wieder nach Hause
gehen. Es sind Begebenheiten wie diese, über die sich die Grazer Presse in vielen
Fällen aufregte und bei denen sie manchmal die Konfessions- oder die Nations-
karte ausspielte. Die hier im Rahmen traditioneller Seitenhiebe erfolgten Attacken
gegen die jeweils andere Konfession oder Nation (nationale Zugehörigkeit) zei-
gen, dass der Krieg interkonfessionelle Auseinandersetzungen weder schlagartig
noch zur Gänze unterband. Als Beispiel eines solchen Angriffs, bei dem man so-
wohl den (katholischen) Klerus als auch die „Slowenen“ publizistisch attackierte,
kann ein Artikel der Evangelischen Kirchen-Zeitung für Österreich, dem Organ
des Evangelischen Pfarrvereins für Österreich, herangezogenen werden. In diesem
zu Allerheiligen erschienenen Artikel stand, dass im steirischen Pettau (Ptuj) ein
katholischer Militärpfarrer, genauer gesagt „ein Slowene“, einem griechisch-orien-
talischen Soldaten „das kirchliche Geleit“ verweigert hatte.389 An den Artikeln, in
denen dem Klerus oder den „Slowenen“ ein Fehlverhalten in puncto Begräbnisfor-
malitäten oder letzter „Ölung“ vorgeworfen wurde, erkennt man, dass selbst der
Bereich des Sterbens und des Begrabens vom steirischen Nationalitätenkonflikt
erfasst wurde. Dieser Binnenkonflikt hatte nichts mit den Feindbildern „Japan“
oder „Frankreich“ zu tun, sondern er drehte sich um eine Konkurrenzkonstella-
tion innerhalb der Monarchie, die je nach „Parteifarbe“ kommentiert und ausge-
fochten wurde. Das publizistische Zurechtweisen und Beschuldigen der eigenen
„Landsleute“ belegt dabei erneut, dass es einen gesamtgesellschaftlichen Burgfrie-
den nicht gegeben hat. Obendrein finden sich diese zahllosen kleineren Konflikte
bereits in der präventiv zensierten Grazer Presse.
Infiltrierendes „Spinnennetz“
In allen kriegführenden Staaten kam es zu Kriegsbeginn zu einer erhöhten Angst
vor subversiven Menschen, wie Spionen und Saboteuren.390 Das traf in vielerlei
Hinsicht auch auf Graz zu, wo man spürbar Angst vor Spionen und Spioninnen
388 Ein Kriegerbegräbnis mit Hindernissen, in: Grazer Tagblatt, 21.11.1914 (Abendausgabe), 2.
389 Pettau. (Unduldsamkeit.), in: Evangelische Kirchen-Zeitung für Oesterreich, 1.11.1914, 277.
390 Zum Spionage-Topos (Angst, Jagd) in Deutschland: Hermann (2014), 72–79; Zedler (2014),
63–66; Stöcker (22014), 55, 79–81; Stöber (2013), 99; Chickering (2009), 66; Hartung/Krüger
(2009), 169; Nübel (2008), 80–82; Schröder (2007), 219f.; Wippich (2007); Link (2004), 327–331;
Reitemeier (2004), 175; Geinitz (1998), 159–174, 319; Raithel (1996), 447–454; Brommer (1986),
168 f.; Boll (1981), 151 f.; Schwarz (1971), 106 f. Für Frankreich: Bavendamm (2004), 52–70.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453