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Kapitän erhalten. Das Schiff, als es in einem schlechten Zustand und nicht
mehr seetüchtig war, bekam dann ein Partener. Der Borger39 hat für den VE
damals noch ein Gedicht geschrieben. Er ist auf dem neuen Schiff weiter Kapi-
tän geblieben, das haben sie von Holland kommen lassen. Mein Mann hat
den Montafoner Schwimmclub mit dem EG gegründet, es waren aber auch
noch andere beteiligt. Er war dabei sehr aktiv. Er hat auch Schulschwimmen
gemacht, damit jedes Kind nach der Schulzeit schwimmen konnte. Er hat
auch Schwimmlehrer ausgebildet, heute führt das noch der FH weiter. Auch
bei der Wasserrettung in Bregenz war er. Dort hat er vom Land Vorarlberg
die Goldene Ehrenmedaille erhalten. Er hat auch den Peter Piske, der Bruder
von Jürgen Piske, hervorgebracht. Also, die ganze Freizeit von VE hat dem
Schwimmsport gegolten. Ein Montafoner ist er nicht, aber ein Einheimischer,
weil er ja schon 57 Jahre da ist und so viel für die Kinder getan hat.
Abschließend soll nochmals betont werden, dass der Themenbereich der Arbeit
nur eine von vielen Leitlinien darstellt. Unter den Befragten, die ja – wenn schon
nicht eine Generation – so doch eine soziale Gruppe und jedenfalls eine Erinne-
rungs- und Erzählgemeinschaft darstellen, war die Arbeits-Leitlinie immerhin die
am deutlichsten hervortretende. Diese Tatsache hängt nicht zuletzt mit der Inter-
viewsituation zusammen: Wenn sich VertreterInnen des regionalen Heimatmuse-
ums nach den individuellen Lebensgeschichten erkundigten, lag es für viele wohl
nahe, „Leben“ mit „Leistung“ gleichzusetzen. Die Befragten versuchten dem Kom-
pliment, als MontafonerInnen für das Museum interviewt zu werden, gerecht zu
werden und stellten das Thema Arbeit in den Vordergrund. Die gesuchte Lebens-
geschichte wurde so in einigen Fällen zur Erfolgsgeschichte, nicht zuletzt, weil
es leichter und lustvoller ist, auf die eigenen Errungenschaften hinzuweisen. Die
Tatsache allerdings, dass in einer Interviewsituation gerade Arbeit und Leistung
als Erzählstruktur wirksam werden, ist soziokulturell bedingt und wird gerade
deshalb als Erzähltradition (wohlgemerkt: in Interviews) deutlich. Dass Arbeit
eines der lebensbestimmenden Themen und auch eines der lebensgeschichtliche
Erzählungen am meisten prägenden Themen ist, das wird noch in anderen Kapi-
teln deutlich aufgezeigt werden können.
3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen
Bei einem Topos handelt es sich um ein Sprachmuster, das in Erzählungen als
zusammenfassende Deutung persönlicher und sozialer Erfahrungen fungiert
und mitunter in bildhafte, jedenfalls aber typisierte Form gegossen wurde. Topoi
stellen kulturelle Vorlagen dar, auf die verschiedene ErzählerInnen zurückgreifen
können. Der Soziologe Hubert Knoblauch etwa beschreibt Topoi sehr weit gefasst
als „feststehende Redeweisen, konstante Motive, verfügbare und stereotype Denk-
39 Otto Borger, Schrunser Mundartdicher, 1904–1994.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439