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Geographie, Land und Leute
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
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287 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen Neben den Geschichten, die während des Krieges immer wieder von den Vorfäl- len an der Schweizer Grenze im Tal kursierten, wurde die Montafoner Bevölke- rung durch die Kriegsgefangenen oder ZwangsarbeiterInnen unmittelbar mit dem Krieg konfrontiert. Der weitaus größte Teil der ZwangsarbeiterInnen im Montafon wurde als Arbeitskraft auf den verschiedenen Baustellen der Vorarlberger Illwer- ke-AG eingesetzt: am Obervermuntwerk, am Rodundwerk I, am Silvrettaspeicher, im Staubecken Latschau oder im 19 Kilometer langen Stollen von Partenen nach Latschau. Die faktisch versklavten Arbeitskräfte setzten sich zusammen aus fran- zösischen, polnischen und serbischen Kriegsgefangenen, verschleppten ZivilistIn- nen vor allem aus Polen, der Ukraine oder Weißrussland sowie aus italienischen und französischen Zivilarbeitern, die formal freiwillig gekommen waren.377 Schon in der Anfangsphase des Krieges warben die NS-Behörden – oft unter falschen Versprechungen – Freiwillige in den von der Wehrmacht besetzten Gebie- ten an. Aufgrund des geringen Erfolges steigerten die Behörden schließlich den Druck oder griffen Menschen einfach auf den Straßen auf und transportierten sie ins Deutsche Reich. Der größte Teil der zivilen ausländischen Arbeitskräfte kam somit nicht freiwillig, sondern wurde zwangsverpflichtet und brutal verschleppt.378 Bei den Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen handelte es sich also vor allem um Menschen, die aus jenen Ländern stammten, gegen die die eigenen Söhne, Gatten, Väter, Brüder gekämpft hatten oder gerade kämpften. In Vorarl- berg waren schätzungsweise 11.000 bis 12.000 Zivilpersonen und Kriegsgefangene beschäftigt – wobei hier die sogenannten OstarbeiterInnen, von denen die meisten aus der Ukraine stammten, den größten Anteil gestellt haben dürften.379 Zwei Drit- tel der Kriegsgefangenen waren dem Bausektor, das heißt im Montafon auf den Baustellen der Illwerke-AG, zugeteilt.380 Die in diesem Kapitel ausgewählten Erzählungen verdeutlichen, dass in der Erin- nerung der ZeitzeugInnen zwischen zivilen ZwangsarbeiterInnen und Kriegsge- fangenen nicht unterschieden wurde – bzw. wird ausschließlich von Zwangsarbei- tern als Kriegsgefangenen berichtet. Darüber hinaus war der weitaus größte Teil der ZwangsarbeiterInnen auf den Baustellen der Illwerke beschäftigt und befand sich somit zumeist außerhalb des Aktions- und Gesichtsfeldes der meisten Monta- fonerInnen. Die ZeitzeugInnen kamen daher vor allem mit ZwangsarbeiterInnen in Kontakt, die in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. 377 Walser, Harald: Vorarlbergs Startbedingungen in die Zweite Republik. In: Bundschuh, Werner u.a. (Hg.): Wieder Österreich! Befreiung und Wiederaufbau – Vorarlberg 1945. Bregenz 1995. S. 39–58. Hier S. 42. 378 Schreiber: Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol. S. 180. 379 Ruff, Margarethe: Um ihre Jugend betrogen. Ukrainische Zwangsarbeiter/innen in Vorarlberg 1942–1945. (= Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 13) Bregenz 1997. S. 17. 380 Walser, Harald: Bombengeschäfte. Vorarlbergs Wirtschaft in der NS-Zeit. (= Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 6) Bregenz 1989. S. 240.
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Untertitel
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Verlag
StudienVerlag
Ort
Innsbruck
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
15.8 x 23.4 cm
Seiten
464
Schlagwörter
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Kategorie
Geographie, Land und Leute

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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