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366 3.4.41. Urlaube mit der Familie
Wie in den letzten Kapiteln über Erzählstoffe in Bezug auf die Nachkriegsjahrzehnte
bereits deutlich geworden ist, stehen ab dem Ende der Besatzungszeit vor allem die
persönlichen Biografien im Zentrum der lebensgeschichtlichen Erzählungen. Leh-
mann zeigte in seinen Untersuchungen auf, dass insbesondere für den Zeitraum
des Zweiten Weltkriegs das „Geschichtliche über das Lebensgeschichtliche“ in den
Erzählungen dominiert. Historische Ereignisse geben den Verlauf der Geschichten
vor und stehen auch selbst im Vordergrund der Erzählungen. Ab den 1950er Jahren
verändern sich diese Leitlinien von den historischen Ereignissen weg hin zu priva-
ten Meilensteinen im familiären oder beruflichen Leben.459 Eine sehr verbreitete
Leitlinie des Erzählens für den Zeitraum ab den 1950er Jahren sind Urlaubsrei-
sen.460 Die ZeitzeugInnen berichten von ihren schönsten Reisen, manche zählen
ihre Urlaubsreisen in chronologischer Reihenfolge auf, wieder andere erzählen von
besonderen Ereignissen auf diesen Reisen. Nachfolgend geben drei Erzähler Bei-
spiele, in welcher Form Urlaubsgeschichten unter anderem erzählt werden:
AA ♂, geboren 1918:
AA: Ja, Urlaub haben gehörig genutzt. Einmal im Frühling, da haben wir
einen kurzen Urlaub gemacht, möglichst ein bisschen eine Kur. Da sind wir,
wie ich schon gesagt habe, überall herum, wo man etwas lernen hat können.
Hauptsächlich Hallenbäder, wenn es ein bisschen teuer gewesen ist, hat man
halt dazumal angeschaut vor dem Hallenbad. Und sonst halt im Gewerbe,
hat es mich immer interessiert, wie das andere machen, oder. Und im Herbst
… Ja, ja, öfter einmal … zwei, drei mal drei Wochen. Und heute … später
ist man dann kaum 14 Tage weggekommen. Ja, eine Mittelmeer-Rom-Fahrt.
Da haben wir einmal, „dia Junga ho mr vrstellt“461, die sind dann immer bei
der Ahna oder bei der Schwester unterbracht gewesen. Dass man nicht weg
ist, und es ist das Haus leer. Und da ist halt einmal passiert, dass das nicht
geklappt hat und da haben wir sie in Feldkirch hin getan, und beide – wie alt
sie da gewesen sind, das weiß ich nicht mehr – haben wir sie hin getan. Und
wie wir gekommen sind, haben sie uns nicht mehr gekannt, haben sie uns
nicht mehr wollen. Hat die Frau gesagt, „du, das ist das letzte Mal!“ [lacht]
Wir sind ja doch fast drei Wochen weg gewesen, dort. Weiß nicht, wo wir da
gewesen sind.
EE ♂, geboren 1934:
EE: Wir haben ein gutes Familienleben. Wir waren sehr viel beieinander,
haben sehr viele Urlaube gemacht, damals ist man noch mit dem Auto ohne
459 Lehmann: Erzählstruktur und Lebenslauf. S. 174.
460 Lehmann: Erzählstruktur und Lebenslauf. S. 205f.
461 die Kinder haben wir abgegeben.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439