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Krieges und stilisiert hier seinen Vater zum vifen, aber berechnenden Helden der
Geschichte, der mit den Ängsten der Menschen spielt und so für seine Familie
einen Vorteil herausschlägt.
BB berichtet, analog zu den Erzählungen über die Armut in der Kindheit, vom
hohen Stellenwert der Landwirtschaften, über die es den Familien möglich war,
sich weitgehend selbst zu versorgen – was zwar viel Arbeit und Mühe kostete, wo
man aber andererseits „nichts falsch machen“ konnte.
NM spricht schließlich im obigen Ausschnitt den Aspekt des sich verändernden
Geldwertes an. Dieses Thema wird von den ZeitzeugInnen sehr häufig angespro-
chen, sei es in Form einer erzählerischen Leitlinie der Lohn- und Preisentwicklung,
sei es um in einer Gegenüberstellung aufzuzeigen, wie die bäuerliche Arbeit und
ihre Produkte über die Zeit an Wert verloren. Auch NMs Erzählung streift dieses
Thema, wenn er davon spricht, dass heute die Wolle im Abfall landet, während NM
vor 60 Jahren noch einen Monatslohn für drei Kilo Schafwolle aufwenden musste.
Ein weiterer wichtiger Erzählstoff in Bezug auf die wirtschaftliche Situation
in den Nachkriegsjahrzehnten wird hier von NM angesprochen, nämlich der
Schwarzhandel oder Schwarzmarkt, ohne den bestimmte Produkte zumeist über-
haupt nicht oder nur sehr teuer erhältlich waren. Dieser Thematik widmen sich
die ZeitzeugInnen zumeist sehr ausführlich, wie im nachfolgenden Kapitel zum
Thema Schmuggeln deutlich wird.
3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten
Schmugglergeschichten sind kein für das Montafon spezifischer Erzählstoff, son-
dern in den meisten grenznahen Regionen sehr beliebt. Ähnlich wie bei den Laus-
buben- und Schulgeschichten handelt es sich bei den Schmugglergeschichten um
ein klassisches Themenfeld, dem in der Literatur bereits seit gut 150 Jahren Auf-
merksamkeit geschenkt wird und das im Zuge der Selbstvermarktung für den Tou-
rismus in den letzten Jahrzehnten verstärkt thematisiert und wiederbelebt wird.421
Auch bei den Schmugglergeschichten handelt es sich häufig um betont lustige,
aber auch spannende Erzählungen, die insofern an die Tradition des Schwankes
anknüpfen, als sie zumeist die schlauen, mutigen Schmuggler in Szene setzen und
dabei die Zollwachebeamten oder „Finanzer“ als Überlistete freundlich verspot-
ten.422 Schmugglergeschichten erfüllen sehr häufig die Funktion der Selbstdarstel-
lung, wenn Zeitzeugen persönlich erlebte Anekdoten zum Besten geben, die die
eigene Verwegenheit und Überlegenheit den Zöllnern gegenüber darstellen, und
sich dabei um eine unterhaltsame Gestaltung bemühen.
421 Hessenberger, Edith: Von Grenzüberschreitern und Grenzbewachern. Eine kleine Soziologie des
Schmuggelns. In: Hessenberger, Edith (Hg.): Grenzüberschreitungen. Von Schmugglern, Schlep-
pern, Flüchtlingen. Aspekte einer Grenze am Beispiel Montafon-Prättigau. (= Sonderband zur
Montafoner Schriftenreihe 5) Schruns 2008. S. 51–77. S. 52.
422 Vgl. Girtler, Roland: Schmuggler. Von Grenzen und ihren Überwindern. Linz 1992.
Girtler, Roland: Abenteuer Grenze. Von Schmugglern und Schmugglerinnen, Ritualen und „hei-
ligen Räumen“. Wien 2006.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439