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84 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft
Schilderungen aus dem Bereich (berg-)landwirtschaftlichen Arbeitens erwiesen
sich in den lebensgeschichtlichen Erzählungen der meisten Gewährsleute als eines
der zentralsten, umfassendsten und detailreichsten Themenfelder. Diese Tatsache
ist einerseits darauf zurückzuführen, dass ein Heimatmuseum – das sich bekann-
termaßen häufig speziell für die traditionelle bäuerliche Kultur und Arbeit interes-
siert – als projekttragende Institution genannt wurde, und die Gewährsleute eine
dementsprechende Vorstellung davon entwickelten, was die InterviewerInnen als
erzählenswert erachteten. Die regionale Besonderheit der dreistufigen Bergland-
wirtschaft, bestehend aus Dauersiedlung („Hemat“), der Viehweide auf den Mai-
säßen im Frühjahr und Herbst sowie den Alpen während der Sommermonate,58
stellte hier als ausgeklügeltes und heute kaum mehr praktiziertes System mitunter
einen Schwerpunkt dar.
Andererseits verbrachte ein Großteil der ErzählerInnen zumindest die Kind-
heit auf einer Landwirtschaft und war dort als Arbeitskraft eingebunden. Die tradi-
tionelle Landwirtschaft repräsentierte bis Mitte des 20. Jahrhunderts den wichtigs-
ten Wirtschaftssektor im Montafon59 und bildete so die Basis für eine Lebenswelt,
die viele ErzählerInnen über ihre ersten Lebensjahrzehnte stark prägte. Vor allem
durch diese Tatsache und aufgrund des unvorstellbaren Wandels, den der land-
wirtschaftliche Sektor und mit ihm die ländliche Gesellschaft innerhalb weniger
Jahrzehnte erfuhren, stellt sich die traditionelle Landwirtschaft als bedeutsamer
und inhaltsreicher Erzählstoff dar.
Abb. 4: Getreideernte in Gaschurn um 1940 (Sammlung Friedrich Juen/Montafon Archiv)
58 Kiermayer-Egger: Zwischen Kommen und Gehen. S. 18f.
59 Böhler, Ingrid: Das Verschwinden der Bauern. In: Mathis, Franz und Wolfgang Weber (Hg.): Vor-
arlberg. Zwischen Fußach und Flint, Alemannentum und Weltoffenheit. (= Geschichte der öster-
reichischen Bundesländer seit 1945 4) Wien 2000. S. 92–115. Hier S. 94.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439