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intensivsten Bemühungen um einen Arbeitsplatz während der ersten Jahre nach
dem Krieg. Er beschreibt einen Kampf, mit nur einem Bein wieder ins Leben hin-
einfinden zu können, und nicht irgendwo als Hilfsarbeiter zu landen. IJs Behinde-
rung prägt seine Erzählung über die Suche nach einer Ehefrau, er beschreibt, wie
er bis ins hohe Alter körperlich trainiert, um so wenig als möglich eingeschränkt
zu sein. Er erzählt von dem Empfinden eines Außenseiter-Daseins als Behinder-
ter, aber auch vom Respekt, der besonders „Kriegsbeschädigten“ entgegengebracht
wurde. IJ erzählt von Bergwanderungen und Radtouren mit Krücken oder Pro-
these, von peinlichen Erlebnissen wie dem Umfallen mit dem stehenden Rad an
einer Kreuzung. Schlussendlich ist diese Leitlinie seiner Lebensgeschichte doch
klar Indikator dafür, dass er „die Energie aufgebracht [hat] um das mitzumachen.
Was auch eine Gnade ist, dass man diese Energie aufbringt.“ IJs lebensgeschichtliche
Erzählung handelt im Kern also von der Herausforderung, das eigene Schicksal zu
meistern – halb ergeben, halb im Kampf.
So unterschiedlich Krankheiten und Krankheitsverläufe sein können, ähneln
sich die Erzählungen darüber schließlich doch in gewisser Weise. Die ErzählerIn-
nen sehen sich als Opfer des Schicksals, aber als KämpferInnen im Leben.
3.4.45. Umgang mit dem Altern
Schon im letzten Kapitel über den Umgang mit Krankheit spielten Arbeitsfähig-
keit und Arbeitsplatz eine große Rolle in den Darstellungen. Diese Tatsache mag
in Hinblick auf die Erzählungen, die von Erlebnissen im erwerbsfähigen Alter
handeln, wenig überraschen. Umso auffallender ist allerdings, dass das Thema der
Arbeit auch die Passagen über den Umgang mit dem Altern oder dem Alt-Sein
prägt. Drei Ausschnitte geben Beispiel für die Verknüpfung dieser beiden Themen-
bereiche:
LL ♀, geboren 1922:
LL: Ich bin zufrieden. Ich bin zufrieden, dass der jetzt mich heilt. Ich bin froh,
jetzt bin ich auch krank geworden. Nicht gut beieinander. Werde ja zu Weih-
nachten […] zweiundachtzig. Ich möchte noch einmal zwanzig Jahre alt, weil
ich die Arbeit, die mag ich gerne. Ich mag nicht gerne in den vier Wänden
hocken. Mag ich gerne schaffen, fest, putzen und ackern, und alles tun möchte
ich, bequem. Die Arbeit hat mir gut getan. Jetzt hocke ich da drinnen in den
vier Wänden. Da kommt nichts mehr, nicht „muh“ und nicht „mäh“, nichts.
Mein Gott, ist das langweilig. Ach du lieber. Aber, ich glaube, wegen dem wird
man ja krank, ha?
SZ ♂, geboren 1924:
SZ: Ja, also ich hab halt die Wanderungen unternommen. […] Gargellen und
so weiter. Bielerhöhe und Paznaun und Valschavieltal und so weiter, halt
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439