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58 Erzählungen und deren Fazit bzw. „werthaltiger Endpunkt“. Erzählstereotype und
Mustererzählungen, des Weiteren ihre kulturell bedingten Modifikationen, können
im Rahmen eines Vergleichs sich ähnelnder Erzählsequenzen festgestellt werden.
Genauer betrachtet werden dabei jene Geschichten (Erzählsequenzen), die die
„Lebensgeschichte“ konstituieren. Sie sollen in ihrer Struktur, ihrem Aufbau und
ihrer Erzählweise auf etwaige kulturelle Leitbilder hin betrachtet werden. Anhand
dieser Fragestellungen ist es möglich, Zugang zu erhalten zu den subjektiven Erfah-
rungs- und Deutungswelten der Befragten. Aufgrund der gegebenen Repräsenta-
tivität kann nicht zuletzt auf den zentralen Komplex der Vorstellungen, Werte und
Verhaltensnormen mindestens zweier Generationen rückgeschlossen werden.
2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse
Auf Basis der vorliegenden Transkriptionen wurden in einem ersten Schritt insbe-
sondere die narrativen Teile des Interviews, die sogenannten Stegreiferzählungen,
in thematische Abschnitte bzw. Erzählsequenzen untergliedert und beschlagwor-
tet. Die verwendeten Schlagworte, nach denen diese erste Auswertung erfolgte,
ergaben sich einerseits aus den Lebensabschnitten (Kindheit, Jugend, Familienle-
ben etc.), andererseits aus den historischen Zeitabschnitten (1930er Jahre, Kriegs-
zeit, Nachkriegszeit etc.), und schließlich aus den in den Erzählungen immer wie-
derkehrenden Themenfeldern (Franzosengänger, Schisport, Schmuggeln etc.).
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit gelangten ausschließlich jene Sequenzen, die
das persönliche Leben oder eine persönliche Perspektive der Befragten auf his-
torische Begebenheiten behandelten, zur Auswertung. In vielen Interviews stand
– dem Konzept des Projektes „Montafoner Geschichte“ folgend – die Expertise
der Befragten, etwa aufgrund ihres Berufes oder ihrer Funktion, über weite Teile
des Gesprächs im Vordergrund. In vielen Interviews waren lange Erzählpassagen
zu sehr spezifischen Themenbereichen die Folge, die im Rahmen dieser Unter-
suchung aufgrund des ohnehin umfangreichen Materials vernachlässigt werden
mussten.
Das Interesse an den Interviews konzentriert sich ausschließlich auf jene Inter-
viewabschnitte, in denen die persönliche Biografie der Befragten dargestellt wird
bzw. öffentliche oder historische Ereignisse (dazu gezählt werden im weiteren Sinn
auch nicht punktuell datierbare Ereignisse, wie etwa der Wandel in der Landwirt-
schaft), in die Biografie eingeflochten oder als Erklärungen für Entwicklungen
in der Lebensgeschichte herangezogen werden. Ein besonderes Interesse gilt in
diesem Zusammenhang den Erzählmustern in Bezug auf individuelle Elemente
der Lebensgeschichte ebenso wie in Bezug auf öffentliche Ereignisse. Wie bereits
mehrfach betont wurde, stehen nicht historische Details oder die Ergänzung der
bisherigen historischen Forschungen um persönliche Erinnerungen im Fokus
dieser Arbeit. Vielmehr werden Gemeinsamkeiten in der Darstellung der eigenen
Biografie bzw. der Geschichte der Region, etwa in Form von Mustererzählungen,
untersucht.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439