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60 gerte Modernisierung des Tales einerseits und die daraus resultierenden ähnlichen
Lebensbedingungen für seine EinwohnerInnen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts
andererseits, divergieren die Erlebnisberichte und Perspektiven in Bezug auf das
zurückliegende Jahrhundert trotz der bis zu 40 Jahre Unterschied zwischen den
Befragten nicht allzusehr. Bei den interviewten Personen handelt es sich zumeist
um Menschen, die in der ersten Hälfte ihres Lebens eng mit der traditionellen
Landwirtschaft verbunden waren, kaum die Möglichkeit einer beruflichen Ausbil-
dung hatten und bis zur Pensionierung als HandwerkerInnen, ArbeiterInnen oder
LandwirtInnen tätig waren.
2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse
Die Analyse folgt annähernd der Chronologie der Erfahrungen, beginnt also
mit den am weitesten zurückliegenden Ereignissen. Die Biografie der Befragten
mit ihren Lebensabschnitten von der Kindheit bis hin zur Pensionierung wurde,
sofern möglich, chronologisch in die Zeitleiste der Geschichte eingefügt. Das
heißt: Erzählungen etwa über die Armut in der Kindheit finden in der Reihen-
folge der Analyse vor den Kriegserzählungen Platz, da die ZeitzeugInnen ihre
Kindheit zumeist vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erlebten. Dieser Logik
folgend fallen Themenbereiche wie Liebesgeschichten in die Nachkriegszeit oder
wird die Analyse der Erzählungen über Krankheit und Tod eher ans Ende dieses
Kapitels gesetzt. Diese Einteilung entspricht nicht der biografischen Chronologie
aller Gewährspersonen, sie repräsentiert allerdings die Mehrheit der Lebensläufe.
Denn nicht zuletzt spiegelt diese Reihenfolge die Aneinanderreihung der ver-
schiedenen Themenbereiche in vielen Interviews wider, da die meisten Befragten
in der Rekonstruktion ihres Lebens häufig der ungefähren Chronologie der Ereig-
nisse folgten. In einem Fall folgte eine Zeitzeugin mit ihren Erzählungen im ersten
Teil des Interviews beispielsweise aber auch der Reihenfolge der Bilder im vor ihr
liegenden Fotoalbum.
Die „Baupläne biographischer Erzählungen als Widerspiegelung komplexer Wirk-
lichkeitserfahrung“23 sind derartig vielfältig, dass sie im Umfang der vorliegenden
Interviews keinesfalls erschöpfend beleuchtet werden können. Es sei an dieser
Stelle allerdings auf ein wichtiges Strukturgesetz in lebensgeschichtlichen Inter-
views verwiesen: Assoziationen bewirken, dass ein Erlebnisinhalt in Form einer
Wahrnehmung, einer Vorstellung oder eines Gedankens andere Inhalte weckt.
„Mit Hilfe von Assoziationen die von unübersehbarer Vielfältigkeit sind, ist der
Erzähler in der Lage, Darstellungen zu entwickeln, die zwischen Folgerichtigkeit
und Sprunghaftigkeit, Geschlossenheit und Lückenhaftigkeit, Detailliertheit und
Raffung, Abstraktheit und Anschaulichkeit, Gedrängtheit und Weitschweifig-
keit usw. eine fast beliebige Variabilität der Formen und Teilformen annehmen
23 Schröder: Die gestohlenen Jahre. S. 65.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439