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aufgespielt“ haben, reduziert wird. Der prinzipielle Akt der Bestrafung der Täter
wird durch die Beschreibung übermäßiger Gewalttätigkeit seitens der Besatzer,
Denunzierungen durch fragwürdige „Widerstandskämpfer“ sowie überhaupt die
Erklärung des Nicht-Zuständig-Seins für die Geschehnisse zwischen 1938 und
1945 in Frage gestellt. Auf die Spitze getrieben wird dieser Relativismus, den auch
GH abschließend mit seinem werthaltigen Endpunkt „Aber es ist halt eben so, wo
die Macht ist, die wird auf die eine oder andere Art halt ausgeübt“ ausdrückt, durch
die Zusammenfassung der Geschehnisse der 1920 geborenen VU. Die Erzählerin
kommentiert die Ereignisse um den Zweiten Weltkrieg als einfaches Wechselspiel
der Geschichte, in der sich einmal die einen, und schließlich wieder die anderen
„fürchten müssen“ – wobei sie die Sanktionen durch die französische Besatzung
irrwitzigerweise als massiver im Vergleich zu jenen der NationalsozialistInnen
darstellt:
VU: Das ist ja danach konträr gekommen … Früher sind die Vaterländischen,
die haben sich ducken müssen unter den Nazi, unter „den Hitler“415. Und die
Hitler, die haben sich ja viel ärger fürchten müssen, danach, gell.
Sowohl bei VU als auch bei GH wird die Angst thematisiert, die in den Nach-
kriegsjahren im Tal offenbar deutlich spürbar war. Einzelne nahmen sich, so GHs
Erinnerungen, sogar das Leben aus Angst vor den Sanktionen der Besatzung.
Jedenfalls aber kursierten verschiedenste „Schauermärchen“ (GH) über die Vor-
gänge im Lager in der Mokry, die vielen MontafonerInnen bekannt gewesen sein
dürften. Hier handelt es sich mitunter um sagenartige Erzählungen, die eines wah-
ren Kerns nicht entbehren, aber doch niemals auf persönlichen Beobachtungen
beruhen und schließlich bis heute einen so großen Stellenwert haben, dass das
Lager in der Mokry, die Vorgänge dort und nicht zuletzt die Angst davor auch
im 21. Jahrhundert noch in den lebensgeschichtlichen Erzählungen thematisiert
werden.
3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit
Die Erzählungen über die Jahre und sogar Jahrzehnte nach Ende des Zweiten
Weltkrieges stehen ganz im Zeichen der Armut und der einfachen Verhältnisse.
Vergleichbar mit den Erzählungen über die Armut in der Kindheit der Zeitzeug-
Innen, wird auch in Bezug auf die Nachkriegszeit versucht, die Verhältnisse an
extremen Beispielen zu verdeutlichen. Die Beschreibungen der Armut umfassen
alle Bereiche des Lebens, von der mangelhaften Kleidung angefangen, bis hin zu
den einfachen Wohnverhältnissen. Der 1924 geborene IJ beschreibt die Situation
seiner Familie nach Ende des Krieges, als das Haus nach den schwierigen Jahren
heruntergekommen war und die Familie kaum ein Einkommen hatte:
415 „die Hitler“ oder „die Hitlerischen“ steht für „die Nationalsozialisten“.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439