Seite - 11 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 11 -
Text der Seite - 11 -
11Leitperspektive
|
liegenden Handlungsspielräume leichter ausloten kann. Nicht alle Menschen gin-
gen beispielsweise aus dem Ersten Weltkrieg autoritär gesinnt und „brutalisiert“
hervor.5 Auf den ersten Blick erscheint dies ein wenig anders. Hermann Göring
war im Ersten Weltkrieg. Erwin Rommel war im Ersten Weltkrieg. Adolf Hitler
war im Ersten Weltkrieg. Mussolini war im Ersten Weltkrieg. Ebenso Henri Phil-
ippe Petain und Charles Maurras. Selbiges gilt für Ernst Rüdiger von Starhemberg
und Emil Fey. Auch diese beiden Männer waren – bevor sie zu Proponenten des
Dollfuß/Schuschnigg-Regimes wurden – Soldaten. Es steht außer Frage, dass diese
Männer in vielerlei Hinsicht unterschiedlich waren. Autoritär und hierarchisch
respektive antidemokratisch waren sie dennoch alle (wenn auch in unterschiedli-
chen Graden).
Weniger schnell lässt sich hingegen die aus meiner Sicht vermeintliche Mono-
kausalkette „Krieg>Gewalt>Brutalität>Diktatur“ bei anderen Menschen erken-
nen.6 René Cassin kämpfte im Ersten Weltkrieg und er ging wie die Mehrheit der
französischen Kriegsveteranen pazifistisch und demokratisch aus dem Krieg her-
vor.7 Der (später berühmte) österreichische Volksschauspieler Hans Moser war an
der Isonzofront. Jahre später sollte er sich weigern, sich von seiner jüdischen Ehe-
frau zu scheiden. Der heutzutage weniger bekannte Constantin von Economo, ein
Psychologe und Neurologe griechischer Herkunft, war im Ersten Weltkrieg sowohl
an der Russlandfront als auch an der Karst- und Dolomitenfront. An der Nordost-
front fuhr er für das k.
k.
Motorfahrerkorps. In „Südtirol“ war er Pilot und kämpfte
gegen Italien. Danach war er (wieder) Arzt und beschrieb 1917 erstmals die „Eu-
ropäische Schlafkrankheit“ („Encephalitis Lethargica“). 1976 gab man in Öster-
reich eine Briefmarke mit seinem Konterfei heraus.8 Hans Rothfels, Leutnant der
Reserve, fiel im November 1914 vom Kriegspferd und verletzte sich folgenschwer.
Jahre später wurde er im Zuge der Novemberpogrome (1938) verhaftet. Und wie-
der einige Jahre später sollte man von ihm als Wegbereiter für die neue deutsche
Zeitgeschichtsforschung sprechen, dessen zeitgeschichtliche Neuansätze unter an-
derem die Schrift „Das Studium der Zeitgeschichte“9 (1915) von Justus Hashagen
obsolet werden ließ. Neben Hans Rothfels erlebte Anton Karas den Krieg. 1906
wurde er in Wien geboren und 1950 belegte er mit seinem „Harry-Lime-Theme“
5 Allgemeines zum Kontinuum der Gewalt rund um den Ersten Weltkrieg in: Gerwarth (2014).
6 Die folgenden Lebenswege entnahm ich einschlägigen Handbüchern, vgl. „Deutsche Biogra-
phie“, „Neue Deutsche Biographie“, „Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender“ und „Österrei-
chisches Biographisches Lexikon“ [Nicht im Quellen- oder Literaturverzeichnis angeführt].
7 Winter/Prost (2013), 25 f.
8 Die Briefmarke ziert das Buch-Cover von: Bogaert/Théodoridès (1979).
9 Hashagen (1915).
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453