Seite - 12 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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12 | Leitperspektive
aus Carol Reeds „Der dritte Mann“ (1949) elf Wochen lang Platz Eins der US-
amerikanischen Charts. Nicht minder beeindruckend sind die Filme „Sodom und
Gomorrha“ (1922) und „Casablanca“ (1942) von Michael Curtiz, der damals – als
er in der k. u. k. Armee kämpfte – noch Mihály Kertész Kaminer hieß. Carl Mayer
aus Graz und Hans Janowitz aus Poděbrady erlebten ebenso wie (der spätere Präsi-
dent der Tschechoslowakischen Republik) Thomáš Masaryk den Ersten Weltkrieg.
1919 schrieben Mayer und Janowitz das Drehbuch „Das Cabinett des Dr.
Caligari“,
das ein Jahr später von Robert Wiene verfilmt wurde. Siegfried Kracauer sollte
später einmal in seinem Buch „From Caligari to Hitler“10 (1947) den Film – nicht
das Drehbuch – aufs Schärfste kritisieren. Kracauer wurde 1889 geboren – wie
Adolf Hitler, Otto Friedländer, Koloman Wallisch und Charlie Chaplin. Was sie
während des (Ersten) Weltkriegs taten, ist bekannt. Ganz anders verhielt es sich
mit dem Wiener Juden Erik Jan Hanussen. Damals hieß er noch Hermann Chaim
Steinschneider, aber auch er wurde im Jahr 1889 geboren. Über das, was er im
Krieg tat, weiß man heute nur sehr wenig. Angeblich brachte er der k. u. k. Armee
das Wünschelrutengehen bei. Jahre später arbeitete Hanussen mit einigen Natio-
nalsozialisten zusammen. 1933 wurde er von Nationalsozialisten getötet.
Die Aufzählung ließe sich so lange weiterführen, bis man alle Menschen, die
den „Volkskrieg“ erlebten, aufgezählt hätte. Kurzum: auf dieser Liste würden mehr
Frauen und Mädchen als Männer und Buben stehen. Und die Geschichten hinter
diesen Namen würden nicht zwangsläufig und bedingungslos zu Auschwitz-Birke-
nau oder Hiroshima hinführen. Denn es lässt sich nicht schlüssig argumentieren,
dass der Erste Weltkrieg die Menschen, Männer wie Frauen, Deutsche wie Briten,
Arme wie Reiche, Juden wie Muslime, Städter wie Bauern, Junge wie Alte, Krämer
wie Senner, Zivilisten wie Soldaten, Akademiker wie Industriearbeiter allgemein
„brutalisierte“ oder generell autoritärer werden ließ. Vielmehr kann das gesamte
Alltagshandeln inklusive der Gewaltfrage entlang mehrerer Aufrisse aufgebrochen
werden.11 Dieser Schritt benötigt aber eine Perspektive, die nicht ausschließlich
jedes historische Ereignis von seinem jeweiligen Ende her liest. Und diesem An-
satz folgt auch die vorliegende Arbeit. Ihr Großthema umfasst die Geschichte der
steirischen Landeshauptstadt Graz im Kriegsjahr 1914. Das engere Thema widmet
sich dem Alltagsleben „auf der Straße“.12 Aus diesem engeren Thema griff ich wie-
derum zwei mir wichtig erscheinende Bereiche heraus. Es ist dies zum einen die
Frage nach der Art und Weise, wie sich der Burgfrieden in Graz „auf der Straße“
10 Nicht im Quellen- oder Literaturverzeichnis angeführt.
11 Erneut sei verwiesen auf: Gerwarth (2014).
12 Zur „Straße“ im Ersten Weltkrieg vgl. Cronier (2007); Lawrence (2007).
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453