Seite - 21 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Forschungsgeschichte | 21
Abschlussarbeiten, Monografien und Aufsätzen über die Reaktionen der Bevölke-
rung auf den Kriegsbeginn 1914. Betrachtet man nur die Historisierung des Ersten
Weltkriegs in dieser ersten Dekade nach dem Kalten Krieg, so lässt sich retros-
pektiv durchaus von einer „Renaissance des Ersten Weltkriegs“28 in diesen Jahren
sprechen. Blickt man jedoch auf sämtliche zeitgeschichtliche Forschungsfelder der
1990er Jahre, war die Zeitspanne vom Sarajevoer Attentat bis hin zum Vertrag
von Lausanne (1923) nicht der zentrale Dreh- und Angelpunkt der inner- und
außeruniversitären Forschung über die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert.
Faktisch waren es andere Themen, die in dieser Zeit Interesse, Publikationen und
Kontroversen hervorbrachten. So diskutierte etwa die bundesdeutsche Zeitge-
schichtsforschung über den Umgang mit der DDR-Geschichtswissenschaft, über
die (erste) Wehrmachts-Ausstellung sowie über Daniel Goldhagens Buch „Hitlers
willige Vollstrecker“, und in Österreich debattierte man – lapidar formuliert – über
den langen Schatten des eigenen Staats.29
Im Vergleich zu diesen Themen stand die Erforschung der Kriegsbegeisterung
von 1914 nicht im Rampenlicht. Dennoch entstanden gerade in den 1990er-Jah-
ren mehrere einschlägige Arbeiten zur Kriegsbegeisterung, die bis heute nichts an
Überzeugungskraft verloren haben. Ihre zunehmende geografische Dichte kons-
tituierte allmählich einen provisorischen Grundkonsens mit wenigen Zwischen-
tönen, der nie eine nennenswerte Kontroverse innerhalb der Augustforschung
hervorbrachte. Dieser Umstand ist auf mehrere Gründe zurückzuführen. Erstens
sind die Augustforschungen (wenngleich implizit, so doch) mehr strukturalistisch
als (explizit) poststrukturalistisch ausgerichtet.30 Eine erkenntnistheoretische Dis-
kussion oder eine wenig gewinnbringende, weil harsch geführte, Konfliktsituation
zwischen den „beiden“ Ansätzen kam daher auf diesem wissenschaftlichen Terrain
nicht zustande.31 Zweitens gehen die Auguststudien aufgrund ihrer kurzen und
engen Beobachtungszeiträume weitgehend induktiv, explorativ, deskriptiv und
quellennah vor. Drittens unterlagen die meisten Augustforscher und Augustfor-
scherinnen nicht der Versuchung, die Ausmaße des Ersten Weltkriegs auf einen
28 Begriff nach Barbara Korte/Sylvia Paletschek/Wolfgang Hochbruck (2008), 11.
29 Zu den zeitgeschichtlichen Kontroversen in Deutschland: Kracht (2007) und (2005); Sabrow/
Jessen/Kracht (2003). Zu Ernst Hanischs Monumentalwerk „Der lange Schatten des Staates. Ös-
terreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert“ vgl. Gehler (2010).
30 Das trifft auch auf meine „moderne“ Arbeit zu.
31 Simone Herzig (2010) und Christoph Nübel (2008) zählen z.
B. zu den wenigen Augustforschern
und Augustforscherinnen, die ihre Arbeiten mehr diskursanalytisch ausrichteten. Vorwürfe, wie
dass die Strukturgeschichten „menschenleer“ seien oder die Diskursgeschichten „menschenleer“
seien, finden sich in den Auguststudien nicht.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453