Seite - 54 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Rahmenbedingungen54
Sektor „Industrie und Gewerbe“ zuzurechnen waren (35,6
%). Beide Sektoren stel-
len daher jeweils für sich (über) ein Drittel aller Berufszugehörigen. Der Rest der
Grazer Stadtbevölkerung entfiel weitgehend auf den Sektor „Handel und Verkehr“
(25,45
%). Kaum ins Gewicht fiel der land- und forstwirtschaftliche Sektor (1,55
%).
Diese Sektorenzahlen gelten nur für – das sechs Stadtbezirke umfassende – Graz.
Berücksichtigt man auch die unmittelbar an der Stadtgrenze angrenzenden Grazer
Gemeinden (die Grazer „Vororte“), dann hatte der Großraum Graz an die 193.000
Einwohner und der zweite Wirtschaftssektor würde einen höheren Anteil ausma-
chen. Ausschlaggebend hierfür sind die „Umgebungsgemeinden“ Eggenberg, And-
ritz und Gösting, wo sich zum einen größere Industrieanlagen und zum anderen
mehrere Mietskasernen befanden. Dehnt man das Territorium auf den gesamten
Handelskammerbezirk Graz aus, überwiegt wieder der erste Wirtschaftssektor. In
den letzten Friedensjahren wies die Stadt Graz einen hohen Anteil an älteren/pen-
sionierten Menschen auf. Vor 1914 waren circa 10 Prozent der Einwohner und
Einwohnerinnen älter als 60 Jahre (monarchieweit waren es nur 8 Prozent).183 Die
Kinder und Jugendlichen im Alter bis 14 Jahre machten dagegen nur rund 20 Pro-
zent der Stadtbevölkerung aus.184 Dieser Wert lag nicht nur unter dem von anderen
Großstädten der Monarchie, sondern prinzipiell unter dem cisleithanischen
Reichsdurchschnitt. In Cisleithanien betrug nämlich der Wert der Kinder und Ju-
gendliche im Alter von 0 bis 14 Jahre 34 Prozent.185 Mit Blick auf die Altersvertei-
lung erwies sich Graz daher „älter“ als viele andere Regionen der Monarchie. 1910
lag das Durchschnittsalter der Grazer Bevölkerung bei über 30 Jahren. Dieser Wert
war sehr hoch, wenn man berücksichtigt, dass in der cisleithanischen Reichshälfte
das Durchschnittsalter bei nur 26 Jahren lag. Graz war nicht nur statistisch gese-
hen „älter“ als viele andere Städte und Regionen. In der Monarchie zirkulierte die
Rede, dass Graz eine Stadt von Rentnern – sozusagen eine „Pensionopolis“ – sei.
Ihren baulichen Niederschlag fand dieses Bild von einer „Pensionistenstadt“ auch
in einigen Grazer Villen, in denen pensionierte Offiziere und Staatsbeamte, darun-
ter Adelige, wohnten. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache,
dass man damals oft von einer „Gartenstadt“ sprach. Diese Selbst- und Fremd-
wahrnehmung entstand aus mehreren Gründen. Erstens verfügte Graz über meh-
rere Parkanlagen, von denen der Grazer Stadtpark, der Grazer Augarten und der
Grazer Volksgarten aufgrund ihrer Flächen (bis heute) hervorstechen. Und zwei-
tens liegt mitten im Stadtzentrum der Grazer Schlossberg. Der Schlossberg ist teil-
183 Hubbard (1984), 13 f.
184 Ebd., 14.
185 Ebd., 14.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453