Seite - 55 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Vier Leitpanoramen | 55
weise mit Wald bedeckt und galt damals, ähnlich wie der Grazer Stadtpark mit
seinem renommierten Café Stadtpark, als ein vorwiegend vom bürgerlichen und
aristokratischen Milieu frequentiertes Erholungsterrain. Es waren nicht bloß die
großflächigen Parkanlagen und der Grazer Schlossberg, die zum Bild einer „Gar-
tenstadt“ beitrugen. Graz war im Vergleich zu den anderen Städten der Monarchie
sehr dünn besiedelt. In der Liste der bevölkerungsdichtesten Städte Cisleithaniens
nahm Graz (in den letzten Vorkriegsjahren) nur den 38. Platz ein.186 Zudem wies
Graz keine allzu hohen Häuser auf. Weniger drastisch fiel der Vergleich zu anderen
Städten aus, wenn es um das Verhältnis der Geschlechter geht. Der Anteil von
Frauen an der Gesamtbevölkerung lag in Graz ein wenig höher als in anderen
Großstädten der Monarchie. In den Jahren zwischen 1880 und 1910 gab es knapp
9 Prozent mehr Frauen als Männer in der Stadt.187 So lebten nach der Volkszählung
von 1910 genau 71.855 Männer und 79.926 Frauen in Graz. Sähe man von den
Soldaten in den Kasernen ab, hätte der Anteil von Frauen jenen der Männer sogar
um beinahe 20 Prozent überstiegen.188 Der Anteil an Männern in der Stadt wurde
indes durch die Zahl der Kasernen stark nach oben gedrückt. In Graz waren unter-
schiedliche Truppenkörper und das Kommando des 3. Korps stationiert, die in
diversen Kasernen untergebracht waren. Die k. u. k. Armee unterhielt hier auch
die dazu gehörenden Einrichtungen wie Gerichte, Spitäler, Truppenübungsplätze
oder Schulen.189 Man sprach daher auch von einer „Garnisonsstadt“. Diese Etikette
trat zu Kriegsbeginn 1914 massiv in den Vordergrund. Die Grazer Stadtpolitik
(Gemeinderat, Stadtrat, Bürgermeisteramt)190 wurde in den letzten beiden
Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg trotz formal römisch-katholischer
Mehrheitsbevölkerung191 auf unterschiedliche Weise antiklerikal gestaltet. Der
Deutschnationalismus dominierte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert den 1.
und 2. Wahlkörper des Grazer Gemeinderats, sodass von Graz das Bild kursierte,
es sei die „deutscheste“ Stadt der Monarchie.192 Die Sozialdemokratie, die durch-
186 Ebd., 50.
187 Ebd., 13.
188 Ebd., 13.
189 Zur „Garnisonsstadt“ vgl. Karner (22005), 51 f., 106 f.; Parth (1998); Egger (1982).
190 Details zu ihren Kompetenzbereichen in: Hubbard (1984), 147–187.
191 Das formale Konfessionsbekenntnis verteilte sich 1910 in Graz annähernd auf: 93
% (röm.-kath.),
4,5 % (evangelisch), 1,3 % (jüdisch), 1,2 % (andere). Zahlen nach: Lamprecht (2007), 67.
192 Es hatte daher seine Gründe, dass Friedrich Naumann (1860–1919) sein 1915 erschienenes Buch
„Mitteleuropa“ auch in Graz vorstellte. Genauer gesagt hielt er am 26. Oktober 1916 einen zwei-
stündigen „Sensationsvortrag“, vgl. den Artikel: Vortrag Friedrich Naumann, in: Grazer Mittags-
Zeitung, 27.10.1916, 2. [Naumanns Buch ist nicht im Quellenverzeichnis angeführt]. Speziell
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453