Seite - 58 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Rahmenbedingungen58
Übrigen gilt es auch für das slowenische Milieu, das 1910 ungefähr 11 Prozent der
Stadtbevölkerung ausmachte.207 Freilich gab es daneben noch andere (wie es da-
mals hieß) „slawische“ Milieus in Graz. Kein Milieu verschloss sich die Option, im
gegebenen Anlassfalle eine zeitweilige Koalition mit anderen Milieus einzuge-
hen.208 Am Ende lassen sich daher viele temporäre Kontakte, Koalitionen und
Konflikte zwischen den einzelnen Milieus erkennen. Innerhalb dieses politischen
Ausverhandelns sämtlicher Alltagsbereiche dominierte aber eine Konfliktlage, die
mittels Zeitungen, Vereinen, Genossenschaften und Gewerkschaften und vielem
mehr ausgetragen wurde. Zu nennen ist hier der Konflikt zwischen dem bürgerli-
chen und dem sozialdemokratischen Milieu. Ferner der Konflikt innerhalb des
bürgerlichen Milieus (vorrangig zwischen den Deutschnationalen und den weit
schwächeren Katholisch-Konservativen).209 Zudem muss auf den alle Milieus um-
fassenden steirischen Nationalitätenkonflikt hingewiesen werden. Der Nationali-
tätenkonflikt wurde seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auf mehreren Ebenen,
in unterschiedlicher Intensität und mittels verschiedener Strategien ausgetragen.210
Eine Folge davon war, dass es in der Steiermark zu keiner Herausbildung eines
gemeinsamen „Landesbewusstseins“ kam.211 Der Erste Weltkrieg führte zu keinem
Ende des Konflikts. In Wahrheit verschärfte er diesen, indem die Gewalt gegen
„Slowenisches“ erhöht wurde und die Zahl derer, die ungewollt in diesen Konflikt
hineingezogen wurden, massiv anstieg.
Zweites Leitpanorama: Im Krieg überformten sich bzw. erodierten die zivilge-
sellschaftlichen Bindungen, was nachhaltig die soziale Kohäsion beeinträchtigte.212
In Cisleithanien – als einem Teil der habsburgischen „Militärmonarchie“213 – gab
es vor dem Ersten Weltkrieg keine „militarisierte hegemoniale Männlichkeit“ (ge-
schen bzw. frühkommunistischen Milieu, das sich entschieden gegen den Weltkrieg stellte (1918
kam es zur Gründung der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs).
207 Zu den liberalen, christlichen, sozialdemokratischen und nationalen Strömungen innerhalb
des slowenischen Vereinswesens vgl. insbesondere: Promitzer (2014); Moll (2007a); Murlasits
(2005); Promitzer/Petrowitsch (1997).
208 Beispiele in: Moll (2007a); (2007b) und (2006b).
209 Man denke hier z. B. an die deutschnationale „Los-von-Rom“-Bewegung (ca. 1898–1908) oder
an die „Wahrmund-Affäre“ (1908).
210 Zu den gängigen Konfliktherden zählten: administrativer Kleinkrieg, Postenbesetzungen, Un-
terrichtssprachen in den Schulen, zweisprachige Formulare, Ortstafeln, Wahlkreiseinteilung, ge-
walttätige Zusammenstöße. Zur Geschichte des steirischen Nationalitätenkonflikts materialreich:
Moll (2007a).
211 Moll (2007a), 24.
212 Ziemann (2013), 8.
213 Hochedlinger (2004), 107.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453