Seite - 64 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Rahmenbedingungen64
Ende ausmachten, waren aber im August 1914 noch nicht geschehen.248 Es darf
jedoch nicht vergessen werden, dass gerade in den ersten Kriegsmonaten – einer
Zeit, als man noch am Primat der rücksichtslos-energisch geführten Militäroffen-
sive festhielt – im Durchschnitt die meisten Soldaten starben.249 In der von Jay
Winter und Antoine Prost verfassten Biografie über René Cassin steht über die
Kriegsführung zu Kriegsbeginn kurzerhand: „This was war in the open, not in tren-
ches, and entailed staggeringly high casualty rates.“250 Nach den Aufzeichnungen
des k. u. k. Armeeoberkommandos (AOK) stellten der September, Oktober und
November 1914 die verlustreichsten Monate für die österreichisch-ungarische Ar-
mee während des gesamten Kriegs dar. Der Juli 1915 lag mit 22.813 Toten an vier-
ter, der August 1914 mit 22.297 Toten an fünfter Stelle der verlustreichsten Monate
für die „Donaumonarchie“.251 Diese Zahlen dürfen nicht blindlings in ein Gewalt-
Ranking gepresst werden, sollten aber auch nicht kommentarlos beiseitegeschoben
werden, sondern es gilt, sie an der zeitgenössischen Wahrnehmung zu messen. Ein
derartiges Unterfangen erfolgt in dieser Arbeit und es wird zeigen, dass die Gra-
zer Bevölkerung nichts von dem eigentlichen Ausmaß der Kriegstoten im August
wusste.252 Das bedeutet aber nicht, dass die Bevölkerung in den ersten Kriegstagen
248 Es gab im August 1914 bekanntlich noch keinen „Aufruf der 93“ (Oktober 1914), kein „Ma-
hatma“ vor Gandhis Namen (1915), keinen Genozid an den Armenierinnen und Armeniern
(1915/16), kein MG Maxim 08/15 (1915), keinen Stahlhelm (1915), keinen Bryce-Report (1915),
keinen Internationalen Friedenskongress in Den Haag (1915), keine Internationale Sozialisti-
sche Frauenfriedenskonferenz in Bern (1915), keine „Judenzählung“ (1916), keinen Dadaismus
(1916), kein „Dem deutschen Volke“ auf dem Westportal des Berliner Reichstaggebäudes (1916),
kein „Verdun“ (1916), keine 23 „Nationen“ an der Somme (1916), keinen „Arabischen Aufstand“
(1916), keine Cesare-Battisti-Exekution (1916), keine Sommerzeit (1916), keine Béla-Kiss-Story
(1916), keine Balfour-Deklaration (1917), keinen Friedrich-Adler-Prozess (1917), keine „Weltre-
volution“ (1917), kein Deutsches Institut für Normung (1917), keine „Encephalitis Lethargica“
(1917), kein Haus Windsor (1917), keine Karel-Kramář-Amnestie (1917), keine Friedensverträge
von Brest-Litowsk (1918), keinen Aufstand in Cattaro/Kotor (1918), keine „Bewegung des 4.
Mai“ (1919), keinen Griechisch-Türkischen-Krieg (1919–1922), keine „Muslimbrüder“ (1928)
und noch keine „Spanische Influenza“.
249 Leonhard (2014), 147 f.; Kramer (2007), 34.
250 Winter/Prost (2013), 20.
251 Die monatlichen Verlustraten der k. u. k. Armee präsentieren sich bis Dezember 1915 wie folgt:
August 1914: 22.297 tote Soldaten der k. u. k. Armee, September 1914: 28.482, Oktober 1914:
33.395, November 1914: 38.763, Dezember 1914: 21.849, Jänner 1915: 3.516, Februar 1915:
8.295, März 1915: 19.577, April 1915: 7.315, Mai 1915: 17.733, Juni 1915: 18.707, Juli 1915:
22.813, August 1915: 11.205, September 1915: 14.993, Oktober 1915: 13.418, November 1915:
12.814, Dezember 1915: 3.013. Zahlen nach: Rumpler/Schmied-Kowarzik (2014), 164
f. Zur Pro-
blematik hinter den einzelnen Erhebungsverfahren und Schätzungen: Schmied-Kowarzik (2014).
252 Siehe das Kapitel: Verlustlisten.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453