Seite - 71 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Vom „Balkanbrand“ 1912/13 | 71
leiten oder gar bewirken könnten. Diese Kriegsvorstellungen blieben nicht ohne
Widerspruch und sie waren auch kein alleiniges Produkt der beiden Balkankriege.
In vielerlei Hinsicht nährten sich diese Kriegsbilder aus den „Kriegsberichterstat-
tungen“ der vorangegangenen Kriege. Verwiesen sei hier nur auf die Berichte, die
sich dem Russisch-Japanischen Krieg (1904–1905) widmeten. Von ihnen erfuhren
die Grazer und Grazerinnen, dass Kriege desaströse bzw. tödliche Folgen haben.
Der Russisch-Japanische Krieg vermittelte – wie alle anderen kurzen Kriege bis
1914 – aber auch den Eindruck, dass Kriege etwas „Positives“ bewirken könnten.
Damals konnte beispielsweise in nur wenigen Monaten das „kleine“ Japan das
„große“ Russland besiegen. Die Balkankriege nährten ebenso die Ansicht vom
kurzen, gewaltsamen und leidvollen, aber die Nachkriegszeit (vielleicht und falls
ja, für wen auch immer) „positiv“ verändernden Krieg. Wie erwähnt, nahm die
Grazer Berichterstattung über die Balkankriege einiges von der Art und Weise, wie
die Grazer Zeitungen die Juni- und Juliereignisse von 1914 zu bewältigen versuch-
ten, vorweg. Als Erstes kann man hier auf die Schlagzeilen aus der unmittelbaren
Vorkriegszeit (Anfang Oktober 1912) verweisen. Damals wussten die Redaktionen
noch nicht, dass es tatsächlich zu einem Krieg auf dem „Balkan“ kommen werde,
aber sie hatten durchaus ein sensibles journalistisches Gespür für einen womög-
lich bevorstehenden Krieg. Erkennbar ist dies beispielsweise an den Schlagzeilen
„Wer will den Krieg?“, „Die Kriegsgefahr auf dem Balkan“ oder „Der drohende
Balkankrieg“.8 Diese drei Schlagzeilen aus den ersten Oktobertagen von 1912 fin-
den sich im Arbeiterwillen, der in dieser Hinsicht nicht anders schrieb als die bür-
gerlichen Grazer Tageszeitungen. Alle Zeitungen sprachen von der „Kriegsgefahr“
und sie alle zogen zur Untermauerung ihrer Abwägungen viele Male das Adjektiv
„drohend“ (im Sinne von „sich anbahnend“) heran. Mehrmals sprachen sie auch
von der „allgemeine[n] Nervosität“9 in dieser Region. Die wettermetaphorischen
Floskeln (Sturm, Gewitter, Donner, Regen, Klima)10 wurden ebenfalls gebraucht.
Auch sie schlugen sich zwei Jahre später (zu Ausbruch des Ersten Weltkriegs) in
den Grazer Zeitungen nieder. Die jeweiligen politischen Überlegungen und Forde-
rungen der Grazer Redaktionen sind weniger schnell auf einen gemeinsamen Nen-
ner zu bringen. Die betreffenden Unterschiede stehen hier aber nicht im Vorder-
grund, zumal ich nur einen ersten Aufriss von der Berichterstattung über die
8 Wer will den Krieg?, in: Arbeiterwille, 3.10.1912, 1; Die Kriegsgefahr auf dem Balkan, in: Arbei-
terwille, 4.10.1912, 2; Der drohende Balkankrieg, in: Arbeiterwille, 6.10.1912, 2.
9 Spielt Rußland eine Doppelpolitik?, in: Grazer Volksblatt, 13.10.1912, 1.
10 Vgl. z. B. Die Ruhe vor dem Sturm!, in: Grazer Tagblatt, 5.10.1912, 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453